ZEIT.ORTE

Annabelle Seubert, 30, hat Journalismus in Magdeburg und Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin studiert. Sie ist Redakteurin der taz.am wochenende und hat im vergangenen Jahr in Georgien erste literarische Texte geschrieben. Sie schätzt besonders die Schönheit sperriger Orte.

LOOK HOW BEAUTIFUL

Annabelle Seubert, 30, hat Journalismus in Magdeburg und Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin studiert. Sie ist Redakteurin der taz.am wochenende und hat im vergangenen Jahr in Georgien erste literarische Texte geschrieben. Sie schätzt besonders die Schönheit sperriger Orte.

Annabelle Seubert

Ein Imperativ zum Schönfinden, zum die-Augen-öffnen. Am Zaun des Tempelhofer Felds steht er, look how beautiful, neben dem Haupteingang – sechzehn zerfledderte Buchstaben, die irgendwann mal farbig waren. Als hätten sich die Berliner längst darüber verständigt, dass dieser Park nicht ihr gelungenster ist. Als wüssten alle, selbst die, die den Erhalt jenes Freizeitflughafens erkämpft haben: magischist es hier nicht. Magisch, großes Wort. Wie soll ein Ort Magie können, an dem man bloß einmal im Kreis gejoggt sein muss – im Hochsommer – um sich innerlich verflucht zu haben, warum zur Hölle mach ich das?Der Wunsch, nach halber Strecke vornüberfallen zu können, lass es vorbei sein. Bitte, jetzt. Die Hoffnung, der Asphalt könne nachgeben. Sich zu weicher, warmer Masse formen. Auffangen wie ein Wasserbett.

Look how beautiful: Deal. Wo?

Kinder üben Handstände, Kinder spielen Fußball. Links zeigt eine Frau einer anderen erste Salsa-Schritte, vor, zurück, vor – und jetzt noch mal mit Hüfte. Daneben: ein Dreirad, das nicht geölt ist. Überall wird sich bewegt, um die Kurven gerannt, durchgehalten, Gegenwind ertragen. Überall brauchen die Menschen Auslauf. Schweißfilme ziehen sich über Oberkörper, Wasserflaschen hängen an Bauchtaschen. Kinder rufen, Kinder weinen, jeder hofft auf irgendwas. Darauf, dass der Samstag langsamer vergeht als sonst. Dass der Hund zu bellen aufhört, vielleicht. Auf bessere Zeiten für den Halbmarathon. Auf bessere Zeiten.

Wenn man alles Gesagte auf diesem Anonymitätsareal hören könnte, auf dem man wirklich eine Nummer ist, dreihundert Hektar Fläche und du – was würde man hören? Einkaufslisten? Büroanekdoten? „Habt ihr geglaubt, Michael Müller macht’s?“ „14,2 Prozent für die AfD?“ „Ey, schieß ma’ rüber jetzt“? Sehnsüchte? Wird hier über Syrien geredet? Oder nur drüben, im Flughafengebäude, einer der größten Flüchtlingsunterkünfte des Landes, wo man Heimweh hat nach – Ruinen? Man kann zu ihr hinlaufen, aber viel weiter als zum Radarturm kommt man nicht. Dann beginnt der Hangar, und der ist wie eine Stadt in der Stadt, selten mischen sich die einen Bewohner mit den anderen. Jedenfalls nicht hier, zwischen Basketball- und Baseballfeld. Oder im Biergarten, der nur alle zwei Jahre besucht zu sein scheint: während der WM und der EM.

Schon jetzt, wenn die Hitze Spätsommerhitze ist und eher drückt statt knallt, stehen die Bierbänke dort wie zum Hohn. Ob sich heute noch einer erbarmt – und setzt?

„Wird wieder früh dunkel jetzt“: Wann man diesen Satz dieses Jahr zum ersten Mal hört?

Bald ändert sich die Stimmung, häufen sich womöglich die Beschwerden: zu wenig Licht, zu wenig Himmel. Überhaupt, völlig verbaut, diese Stadt. Berlin und seine verunstalteten Plätze. Der Alexanderplatz mit seinen Bratwurstverkäufern, all die Umstiegsmöglichkeiten da! Und – einmal unten: die wenigen Aufstiegsmöglichkeiten. Diese Wege durch ein lichtarmes Labyrinth, U2, U5, U8. Keine Sicht, keine Weite: Die Hölle ist ein Schacht. Wer mit dem Finger Sternbilder nachfahren will, muss nach Brandenburg.

Aber gerade? Würde man zwei, drei letzte Ferientage so verbringen, Urlaub an der Tempelhofer Freiheit, anreisen wie an den Strand, an den Bäumen vorbei wie an Dünen, in Erwartung auf das Meer, nur, dass dann Beton vor einem liegt; sich dazu vorstellen, die rot-weißen Poller entlang des Rollfelds seien Bojen – wär das so schlecht?

Krähen stochern im Gras, das sich rau anfühlt, nicht mehr weich wie im Frühjahr – die Wiese ist benutzt. Beim Laufen schieben sie ihre Köpfe vor, picken in der Erde wie Möwen im Sand. Geht man zur richtigen Stelle, in die Nähe der Bahlsen-Fabrik, wird man mit Teigduft belohnt. Man kann von dort den Gasometer in Schöneberg sehen, den Fernsehturm.

Es gibt einen Drachen, der zwischen Ästen hängt und wahrscheinlich dort bleibt. Es gibt Fotoshootings, Yogafestivals, Musikfestivals, vor einer Weile wurde auf dem „Feld“ im Flash-Mob zu Kate Bush getanzt, es gibt die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, auf mindestens einen Slackliner zu treffen. Hält er? Fällt er? Bei Tai Chi-ähnlichen Übungen schieben sie Luft von sich; es gibt Kastanien, Flaschensammler, aufsteigenden Rauch oder Nebel, Pizzaschachteln, Zigarettenschachteln und,look how beautiful: die schwarz gekleideten Schönen mit den Sonnenbrillen, die man ob ihrer Gleichheit gleich wieder vergisst.

Man muss sich nur hinsetzen, um Aussicht auf einen Häuserhorizont zu haben. Drüben, zwischen Hermannstraße und Tempelhof, legt die S-Bahn die wohl längste Strecke der Ringbahn zurück. Wespen fliegen um die Decke, Ameisen kriechen auf die Decke, Eskapismus-Momente dazu: Das Grauen ist woanders, bis zur Tagesschau bleibt Zeit.

Will man Weite – den Himmel sehen, auf Sternbilder warten – muss man nach oben schauen. Oder sich hinlegen, magisch, mitten auf die „Freiheit“. Nur nicht zu lange – um 20.30 Uhr wird sie geschlossen.