flirtschutzfaktor 21 von ILKE S. PRICK
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„Sei authentisch, und dann los!“ Sylvia sieht mich aufmunternd an. „Gewonnen haben wir sowieso, weil wir zu zweit sind.“ Beim Blick durch die Kneipe frage ich mich, was es außer Trostpreisen hier noch geben könnte, doch Sylvia flötet unbeirrt: „Wenn eine Frau allein an der Bar sitzt, denken Männer nämlich, dass es der bloß um Sex geht. Wenn zwei Frauen zusammen auftauchen, denken sie, dass die beiden einen spaßigen Abend wollen. Und dann trauen sie sich, hat der Ed, mein Selbstpräsentationstrainer, gesagt.“

Ach ja? Ich erinnere sie nicht daran, dass das mit dem Sex genau der Grund war, warum sich Sylvia für den Flirtworkshop bei diesem Ed überhaupt angemeldet hat. Und ich sage auch nicht, dass es um die männliche Psyche traurig bestellt ist, wenn Sex und ein spaßiger Abend so unterschiedliche Dinge sind. Dummerweise habe ich mich breitschlagen lassen, Sylvia bei ihrem Praxistraining zu begleiten. Habe ihr vorher geduldig zugeschaut, wie sie vorm Spiegel das lässige Mit-den-Fingern-durchs-Haar-Fahren geübt hat. Habe mir dabei auch die Frage verkniffen, warum sie so viel Geld beim Friseur gelassen hat, um dann doch alles wieder zu derangieren. Irgendein tieferer Sinn wird hinter Eds Order sicher sein. „ ‚Spielen Sie mit Ihrer Weiblichkeit‘, hat er gesagt“, zirpt Sylvia. Ob das ewige Herumzuppeln an ihrem Kleid auch was damit zu tun hat?

Sie drapiert sich auf dem Barhocker und beginnt mit dem, was der Ed als doppeldeutiges Lächeln empfahl. Sie hatte es mir nach der ersten Kurseinheit mal vorgeführt. Aber hier in der Praxis erschrecke ich dann doch fürchterlich. Mir war nie aufgefallen, wie viele Zähne Sylvia eigentlich hat. Es müssen eindeutig mehr als 32 sein. Himmel, und was heißt doppeldeutig? Halb Frau, halb Piranha? Will sie den Typ da drüben zu einer Essenseinladung bewegen, oder wird sie ihn gleich selber fressen?

Ich brauche unbedingt etwas zu trinken! Als ich wiederkomme, ist sie plötzlich ganz still, was mich nicht gerade beruhigt. Im Gegenteil! „Psst, ich synchronisiere mich“, gurrt sie mit Blick auf das Fischfutter. „Bitte?“ Das mit dem Zwischenmenschlichen ist mir wirklich zu hoch. „Flirten ist wie Funkverkehr, verstehst du? Nur wenn du auf der gleichen Welle funkst, kannst du auch kommunizieren. Also muss ich mich auf ihn einstellen.“ Der Barkeeper schüttelt den Kopf und zwinkert mir zu.

„Und nun werde ich mich ein bisschen von dir absondern, damit er mich ansprechen kann. Nur so funktioniert das, hat Ed gesagt.“ Sie wackelt in Richtung Klo. Kaum ist sie verschwunden, steuert das Objekt ihrer Begierde auf mich zu. Dabei habe ich doch die ganze Zeit weder den Hairflip geübt noch mir lächelnd den Unterkiefer ausgerenkt. „Entschuldigen Sie“, sagt das Fischfutter mit sonorer Stimme, „ich möchte ja nicht aufdringlich sein, aber darf ich Ihnen das hier geben?“ Er drückt mir seine Visitenkarte in die Hand: „Dipl. Psych.“ steht da fett unter seinem Namen. „Ich habe Ihre Freundin eine ganze Weile beobachtet.“ Er macht eine Pause und schaut betreten. „Dieser Tick mit den Haaren und dann ihr Grimassieren – verhaltenstherapeutisch kann man da einiges machen.“ Ich nicke stumm. Essen gehen meint er damit sicher nicht.