Außenblick mit Weichzeichner

Paris gratuliert „brüderlich“

PARIS taz ■ Fähigkeiten als „Staatsmann“ bescheinigt die Sprecherin der großen französischen Rechtspartei UMP der neuen deutschen Regierungschefin. Der Sprecher des Élysée-Palastes redet ohne mit der Wimper zu zucken, von dem neuen „Kanzler“ in Berlin. Und Staatspräsident Jacques Chirac wünscht sich die Fortsetzung der „brüderlichen« Beziehungen zwischen Paris und Berlin. Bloß die beiden Spitzenmänner der Regierung, Premierminister Dominique de Villepin und Innenminister Nicolas Sarkozy wagen es, bei ihren Gratulationen die weibliche Form in den Mund zu nehmen: „Chancelière“.

In Paris ist dergleichen kein Fauxpas. Sondern Programm. Schließlich bestehen in der Regierung selbst Frauen darauf, mit dem männlichen Artikel angeredet zu werden. Die sprachliche Verweiblichung von Regierungsämtern, wie sie Ende der 90er-Jahre von der rot-rosa-grünen Regierung eingeführt wurde, hat den Machtwechsel von 2002 nicht überlebt.

Jenseits dieser Verunsicherung hingegen können in Paris fast alle KommentatorInnen Gutes an der Ernennung von Angela Merkel zur künftigen Regierungschefin in Deutschland finden. Sogar OppositionspolitikerInnen. So erklärte Ségolène Royal, eine der vielen selbst ernannten PräsidentschaftskandidatInnen der Sozialisten, sie sei zwar politisch nicht mit Merkel einverstanden, ihre Ernennung beweise aber, dass es eine Frau nach oben schaffen könne. Positiv wertet auch der Chef der rechtsliberalen UDF, François Bayrou, Merkels Aufstieg. Die große Koalition in Deutschland öffnet für ihn „eine neue Ära“. Bayrou – ebenfalls Aspirant auf das höchste Staatsamt – könnte sich eine ähnliche Konstellation für Frankreich vorstellen.

Die Chancen einer großen Koalition, politische Veränderungen durchzusetzen, werden in Frankreich unterschiedlich eingeschätzt. Außenminister Philippe Douste-Blazy glaubt, Deutschland und Frankreich müssten dieselben Lösungen anstreben. Unter anderem: „das Arbeitsrecht flexibler machen“. Er hält eine große Koalition für „vielleicht in der Lage, dies durchzusetzen“. Dem steht eine Mehrheit von FranzösInnen entgegen, die die „Kohabitationen“ der letzten Jahrzehnte in Paris vor allem als lähmend erlebt haben.

Ganz anders als 1998, als der in Frankreich völlig unbekannte Schröder sein Amt antrat, macht sich dieses Mal in Paris niemand ostentativ Sorgen um die Zukunft der privilegierten deutsch-französischen Beziehungen. Dafür sorgt auch die Kontinuität der SPD in der neuen Regierung.

DOROTHEA HAHN

Türkei setzt auf Schröders Erben

ISTANBUL taz ■ Der große Aufreger ist die kommende Kanzlerschaft Angela Merkels in der Türkei nicht mehr. Nachdem die Hürde des Beginns der Beitrittsgespräche mit der EU nun glücklich genommen ist, kehrt auch gegenüber einer möglichen CDU-Kanzlerin größere Gelassenheit ein. Das wichtigste Massenblatt Hürriyet hat Merkel noch nicht einmal auf dem Titel. Erst auf Seite 21 vermerkt das Blatt mit Genugtuung, dass Merkel sich ihre Kanzlerschaft gegenüber der SPD teuer erkaufen musste. Dieser kleine Sieg der SPD gilt in der Türkei als bestmöglicher Erfolg nach dem deutschen Wahlergebnis.

Bereits kurz nach dem 18. September hatte einer der wichtigsten außenpolitischen Kommentatoren, Sami Kohen, die Parole ausgegeben, für die Türkei sei wichtig, dass Merkel in eine Koalition mit der SPD eingebunden werde. Da das nun der Fall sein wird, glaubt man in Ankara, dass sich die Auswirkungen für den Verhandlungsprozess im Rahmen halten werden. Aufmerksam registrierte man hier, dass Wolfgang Schäuble noch vor wenigen Tagen gesagt hatte, nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen stünden nun für eine große Koalition in Sachen Türkei ja keine wichtigen Entscheidungen mehr an, weshalb das Thema in den kommenden vier Jahren keine große Rolle spielen dürfte.

„Merkel ist kein Albtraum, aber die fröhlichen Tage sind vorbei“, fasst die Turkish Daily News die Entscheidung für eine Kanzlerin Merkel zusammen. Statt also weiter auf der Angstschiene zu fahren, ist man in Ankara eher darauf gespannt, zu erfahren, wen die SPD als Außenminister nominieren wird. Da passt es gut, dass Gerhard Schröder heute an den Bosporus kommt, um hier mit seinem Freund Tayyip Erdogan gemeinsam das Fasten zu brechen. Schröder und Erdogan werden in einem Istanbuler Hotel an einem Ramadan-Essen teilnehmen, das ist die feierliche Mahlzeit, die während des Fastenmonats nach der Abstinenz des Tages am Abend eingenommen wird.

Tatsächlich erhofft sich Erdogan von diesem Treffen die Zusicherung, dass die SPD dafür sorgen wird, dass auch in einer großen Koalition weitgehende Kontinuität in der von Schröder begonnenen Türkei-Politik herrschen wird. Vielleicht kann Schröder Erdogan ja schon mal den Namen des neuen Außenministers stecken. Hier hofft man auf Günter Verheugen, obwohl den in Berlin ja kaum jemand auf seinem Ministerzettel hat.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

Polen hofft, dass Merkel Wort hält

WARSCHAU taz ■ Die Polen sind erleichtert. „Kanzlerin Merkel“ titeln fast alle großen Zeitungen. Mehr braucht es nicht. Denn schon mit diesen beiden Worten ist ein ganzes Programm umrissen, das für Polen vor allem eines bedeutet: Hoffnung auf bessere deutsch-polnische Beziehungen. Zwar sind sie offiziell auch heute nicht schlecht, doch das rot-grüne Gespann Gerhard Schröder und Joschka Fischer behandelte Polen oft genug mit herablassender Nonchalance und sichtbarem Desinteresse. Das wird sich nun ändern, hoffen auch viele führende Politiker Polens. Sowohl der designierte Ministerpräsident Polens, Kazimierz Marcinkiewicz, als auch Präsidentschaftskandidat Donald Tusk meinten, dass sie mit Angela Merkel besser zusammenarbeiten könnten als mit Kanzler Schröder.

Den guten Ruf in Polen hat sich Merkel mit einem berühmten Satz aus der polnischen Geschichte gesichert. „Nichts über Polen ohne Polen.“ Man werde sich in der Ostpolitik öfter mit Polen konsultieren, als dies die Schröder-Regierung getan habe, versprach sie. „Wir nehmen Sie beim Wort“, hatte damals die Gazeta Wyborcza geschrieben.

Das Versprechen Merkels wird in fast allen Kommentaren zitiert. Konkret verbunden ist damit die Hoffnung, dass das Ostsee-Pipeline-Projekt zwischen Russland und Deutschland doch noch verhindert werden kann. Polen fühlt sich durch den so genannten „Putin-Schröder-Pakt“ in seinen Interessen geschädigt und in die erneute Abhängigkeit Moskaus getrieben.

Die Deutschland-Spezialistin Anna Wolf-Poweska warnte allerdings: „Polnische Politiker, die davon ausgehen, dass die Regierung Merkel eine Revolution in der Außenpolitik auslösen und größeren Wert auf Warschau legen werde, begehen einen dramatischen Fehler. Dazu wird es nicht kommen.“

Mit der neuen Koalition sei das Thema „Zentrum gegen Vertreibungen“ und „Preußische Treuhand“ noch nicht vom Tisch, so polnische Kommentatoren. Dennoch bestehe auch hier Hoffnung auf eine gütliche Einigung, denn zum einen werde das Außenministerium die SPD übernehmen, die das Zentrum immer abgelehnt habe, zum anderen habe Merkel versprochen, dass sie sich nur dann für das Zentrum einsetzen werde, wenn die Polen dies auch wollten.

GABRIELE LESSER

Die USA warten erst einmal ab

BERLIN taz ■ Lag es am Feiertag – in den USA wurde am Montag, der Columbus Day begangen – oder am Desinteresse? Am arbeitsfreien Montag fanden keine der täglichen Pressebriefings von Weißem Haus oder State Department statt – und so gab es verspätet erst gestern eine offizielle Stellungnahme aus Washington zur entschiedenen Kanzlerfrage: „Wir begrüßen die Übereinkunft von Montag und beglückwünschen Angela Merkel zu ihrer zukünftigen Position als Kanzlerin“, sagte Edgar Vaesquez, ein Sprecher des US-Außenministeriums, in Washington. Auch sonst fällt das Statement eher abwartend als enthusiastisch aus.

Selbst die meisten Medien würdigten die Kabinettsvorentscheidungen in Deutschland nur mit mehr oder weniger ausführlichen Korrespondentenberichten. Von den großen Ostküstenzeitungen kommentierte lediglich die konservative Washington Times die kommende Kanzlerinnenschaft Angela Merkels: „Die außenpolitischen Implikationen dieses Arrangements versprechen die größten Enttäuschungen für die Vereinigten Staaten. Schröders Antiamerikanismus wird nicht absterben, und ein von Sozialdemokraten kontrolliertes Auswärtiges Amt wird sicher versuchen, Elemente seiner aggressiv antiamerikanischen Außenpolitik fortzusetzen“, schreibt die Zeitung.

Tatsächlich dürfte die Regierung der großen Koalition für Washington zunächst schwer einzuordnen sein: Hatte sich die US-Regierung von einer schwarz-gelben Koalition mehr Zuspruch erwartet – unvergessen sind Merkels Auftritte in Washington im Vorfeld des Irakkrieges –, so tut sie sich jetzt schwer mit der Einschätzung. BERND PICKERT