„Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl“

Das bleibt von der Woche Trotz Milieuschutz haben Mieter das Nachsehen, Arbeitslosenberater sind weiterhin gut beschäftigt, Sozialsenator Czaja kündigt dem Flüchtlingsheimbetreiber Pewobe, und die SPD will nicht mehr mit der CDU

Mieterschutz neu erkämpfen

Milieuschutzgebiete

Mieterschutz hat viel vom vergeblichen Wettlauf des Hasen mit dem Igel

Ein bisschen war sicher auch Nachhilfe dabei, als Baustaatssekretär Engelbert Lütke Daldrup (SPD) seine Bilanz der Umwandlungsverordnung am Mittwoch in Neukölln vorstellte. Lange Zeit hatte die Neuköllner SPD die Ausweisung von Mi­lieu­schutz­gebieten – eine Voraussetzung für ein Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen – gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Schließlich kam die Idee von den Grünen.

Ein Umdenken kam erst als Franziska Giffey für Heinz Buschkowsky ins Neuköllner Rathaus zog. Dennoch ist die Bilanz der Verordnung nicht nur ein Lehrstück in Sachen SPD und Lernkultur. Sie sagt auch viel über die Wirksamkeit mietenpolitischer Instrumente.

Ja, die Zahl der Umwandlungen ging in den geschützten Gebieten zurück, und ja, sie stieg in den angrenzenden Quartieren. Das heißt, die Immobilienseite ist immer einen Tick schneller als die Politik. Mieterschutz hat in diesen Zeiten viel vom vergeblichen Wettlauf des Hasen mit dem Igel.

Natürlich muss die Politik reagieren. Neue Milieuschutzgebiete ausweisen. Schlupflöcher stopfen wie den Ausnahmetatbestand, dass Häuser umgewandelt werden dürfen, wenn die Wohnungen den Bewohnern angeboten werden. Das ist Humbug, weil die meisten sie sich nicht leisten können.

Aber selbst wenn alle Schlupflöcher gestopft wären, werden die Mieten noch steigen. Warum? Weil die Instrumente, die den Bezirken und den Ländern zur Verfügung stehen, aus der Zeit vor der Finanzkrise stammen. Seit 2008 aber wird in Betongold investiert. Und die Politik hinkt hilflos hinterher.

Was kann man tun? Ehrlich sein und nicht versprechen, dass der Wohnungsbau alles löst. Was an billigem Wohnraum durch Luxusmodernisierung und Umwandlung verloren geht, kann von „bezahlbaren“ Wohnungen zu 6,50 Euro den Quadratmeter nicht ersetzt werden. Man muss Bündnisse für eine Mietrechtsreform auf Bundesebene schmieden. Heiko Maas, der zuständige Minister, will – die CDU mauert. Die nächste Bundestagswahl ist also auch eine Schicksalswahl für Berliner Mieterinnen und Mieter. Uwe Rada

Bruchstelle im Sozialsystem

KAPITALISMUS

In Wirklichkeit kann man im sogenannten Job­center gar keine Jobs kaufen

Das zehnte Jahr in Folge tourt der Bus der Hilfsinitiative „Irren ist amtlich“ durch die Bezirke, um Arbeitslose zu ihren Ansprüchen zu beraten. Er macht Station direkt vor den sogenannten Jobcentern und offenbart die ganze Absurdität dieser Behörde.

Es ist Teil kapitalistischer Marketingstrategien, reine Verkaufsinteressen hinter Euphemismen wie „Bankkundenberater“ zu verschleiern. Eine ähnliche Taktik verfolgten wohl auch die Macher der Hartz-IV-Reformen, im Zuge derer aus Arbeitsämtern „Jobcenter“, aus Arbeitslosen „Kunden“ und aus Sachbearbeitern „persönliche Ansprechpartner“ wurden. Ganz offiziell sollten die Umbenennungen der Selbstermächtigung der „Kunden“ dienen, die sich fortan beim „Besuch“ des „Jobcenters“ nicht mehr als Bittsteller fühlen sollten. Tatsächlich ist dieser Neusprech nur Kitt auf einer Bruchstelle im solidarischen System.

In Wirklichkeit kann man im „Jobcenter“ gar keine Jobs kaufen. Die sogenannten Kunden sind in Wahrheit Anspruchsberechtigte und allzu oft Hilfebedürftige. Und die „persönlichen Ansprechpartner“ stehen nicht im Dienste der „Kunden“, sondern der Behörde. Sie sind genau diejenigen, die die Leistungen auch bewilligen. Das ist dann fast genauso wie beim „Kundenberater“ in der Bank. Das Jobcenter will so wenig wie möglich Leistung herausgeben. Denn die ist teuer.

Die Lücke, die da im System klafft, füllen zum Teil ehrenamtliche Berater wie die von „Irren ist amtlich“. Sie verhelfen denjenigen, die das Glück haben, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, zu ihren Ansprüchen. Noch bis Oktober tingelt der Bus von Jobcenter zu Jobcenter. In diesem Jahr erstmals auch mit Geld vom Land Berlin. Das ist dann noch mehr Kitt statt Systemkorrektur. Manuela Heim

Ausbaden müssen es andere

Pewobe

Schließlich stehen die Zeichen schlecht für eine Weiterführung der Großen Koalition

Politische Kurzsichtigkeit, Lageso-Chaos, Korruptionsvorwürfe: Sozialsenator Mario Czaja, am Anfang seiner Amtszeit noch als pragmatischer Anpackertyp gelobt, hat im letzten Jahr Kritik auf sich gezogen wie sonst kaum jemand aus der Riege der SenatorInnen. Zeitweise verging keine Woche, ohne dass jemand den Rücktritt des CDU-Politikers gefordert hätte.

Für die Entscheidung, nach dem Bekanntwerden eines rassistischen und menschenverachtenden internen Mailverkehrs dem Heimbetreiber Pewobe fristlos zu kündigen gab es in dieser Woche hingegen Beifall – und den Sturm der Entrüstung, der gewütet hätte, hätte Czaja anders entschieden, kann man sich lebhaft vorstellen.

Lebhaft vorstellen kann man sich allerdings auch die MitarbeiterInnen in Czajas Verwaltung, die nun dafür sorgen müssen, dass die entschlossenen Worte ihres Chefs in eine wasserdichte Kündigung umgesetzt werden. Und das ist gar nicht so einfach. Die Chancen der Pewobe, bei einer möglichen Schadenersatzklage zumindest teilweise recht zu bekommen, stehen nicht schlecht, vermutet etwa die Grünen-Abgeordnete und gelernte Juristin Canan Bayram.

Die Vorstellung, dass das Land Berlin der Pewobe – die schon seit Jahren mit unhaltbaren Zuständen in ihren Heimen, einem unterirdischen Umgang mit ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen und einer Reihe von Auffälligkeiten in Sachen Abrechnung und Auftragsvergabe auf sich aufmerksam macht – am Ende auf Jahre Geld in den Rachen schütten muss, lässt den Beifall für Czajas Entscheidung leiser werden.

Aus seiner Sicht hat der Senator dabei durchaus richtig gehandelt. Bis klar ist, welche rechtlichen Konsequenzen diese Kündigung mit sich bringt, ist der CDU-Mann vermutlich ohnehin nicht mehr im Amt. Schließlich stehen die Zeichen schlecht für eine Weiterführung der Großen Koalition. Wozu also eine Option wählen, die ihn selbst weiter beschädigen würde, wenn die Konsequenzen der populäreren Entscheidung ohnehin andere ausbaden müssen?, mag sich der Senator gedacht haben.

Das macht die fristlose Kündigung nicht automatisch falsch. Dafür, Czajas Versagen im letzten Jahr auszugleichen – das auch darin bestand, Kritik an der Pewobe immer wieder zu ignorieren –, reicht diese Entscheidung aber nicht. Malene Gürgen

SPD hält sich Hintertür offen

KOALITIONEN

Ramona Pop hat sich anders als Müller beim Ausschließen sprachlich festgelegt

Jetzt hat also die Ausschließeritis begonnen. Regierungschef Michael Müller und seine SPD wollen nicht mit der CDU, die Grünen, die sich vor zwei Monaten ihre Bündnisoptionen noch nicht einschränken mochten, ebenfalls nicht. Klare Kante, könnte man sagen. Wäre da nicht der alte Bismarck-Satz, der sich leider immer wieder bewahrheitet: „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ Wenn es am Wahlabend nicht so läuft, wie sich das die Parteien und ihre führenden Akteure vorgestellt haben, dann ist da durchaus davon die Rede, man müsse die Lage nun neu bewerten, man müsse Schnittmengen ausloten.

Denn ist das wirklich in Stein gemeißelt, dass die SPD am Wahlabend standhaft bleibt, wenn sie vielleicht überraschend hinter den Grünen landet? Gut, die liegen gerade mal wieder vier Prozentpunkte zurück. Aber was, wenn bis zum Wahltag noch eine weitere Negativnachricht zum BER kommt, die Michael Müller Stimmen kostet, weil der ja nicht nur SPD-Spitzenkandidat, sondern auch Flughafen-Aufsichtsratschef ist? Und sich einer eigentlich geschlagenen SPD eine Alternative zu einer Juniorpartnerschaft mit Grünen und/oder Linker bietet? Nämlich, mit CDU und FDP als kleinen Partnern zu koalieren und weiter den Regierungschef zu stellen, in einer rot-schwarz-gelben Koalition, der Farben wegen auch schon mal Deutschlandkoalition genannt?

Dann wird es schwer von Bedeutung sein, dass Müller sich in dieser Woche nicht generell von den Christdemokraten distanzierte, sondern bloß von „der Henkel-CDU“. Dieser Henkel aber, derzeit noch Parteichef und Spitzenkandidat, könnte am Wahlabend ganz schnell Vergangenheit sein, wenn sich der CDU ohne ihn die Möglichkeit zum Mitregieren böte.

Ginge Müller auf so etwas ein, hätte er genau genommen noch nicht mal gelogen. Das träfe nur auf die Grünen zu, wenn die am Wahlabend die Chance hätten und nutzten, mit einer Jamaikakoalition, also mit CDU und FDP, Ramona Pop zur Regierenden Bürgermeisterin zu machen.

Doch Pop hat sich anders als Müller beim Ausschließen sprachlich keine Hintertür offen gelassen. Als sie anfangs in ihrer Pressekonferenz formulierte, „dieser CDU“ nicht zum Weiterregieren verhelfen zu wollen, horchten die Journalisten vor ihr noch auf, worauf Pop die Tür komplett schloss: keine Koalition mit der CDU. Da ist kein Spalt mehr offen – noch nicht mal für Bismarck.

STEFAN ALBERTI