Susanne Messmer wundert sich, wie unterhaltsam Wissenschaft sein kann
: Fünf Minuten Redezeit, dann die Glocke und Schluss

Wer von wissenschaftlichen Veranstaltungen Langeweile erwartet, der liegt oft richtig. Nicht jedoch am Dienstagabend in der Villa Neukölln, wo das Wissenschaftszentrum Berlin bereits zum zweiten Mal unter dem Motto „Fokus: Neukölln“ WissenschaftlerInnen gebeten hatte, aktuelle Studien zu Integration, Wohnen und Kultur in Neukölln vorzustellen – quasi den Spieß umzudrehen und den „Beforschten“ die Forschung zurückzubringen.

Man hatte das Gefühl, als hätte jemand den Vortragenden etwas ins Essen getan – derart beschwingt traten sie ans Mikro, wo sie je fünf Minuten Redezeit hatten, bevor die Glocke ertönte und sie zum Ende kommen mussten. Dass der Funke sofort übersprang, merkte man schon, als das Publikum Karten mit Fragen durchzureichen begann, die die Vortragenden im Anschluss kurz zu beantworten hatten. In manchem Fall waren die Fragen so schlau, dass die Vortragenden Aussagen auf den Punkt bringen mussten, die sie zuvor umschifft hatten.

Aber worum ging es bei den Vorträgen? Viele der vorgestellten Arbeiten sind alt, die älteste 15 Jahre alt – und trotzdem war es hochspannend, als Andreas Kapphan, der heute im Bundesministerium für Umwelt arbeitet, berichtete, wie er die Situation von Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehenden und Migranten in Neukölln und Marzahn verglichen hatte. Damals wollten vor allem jene in Neukölln bleiben, die die geringsten Chancen hatten, ihre Situation zu verbessern. Und während viele NeuköllnerInnen in ihrem Umfeld Gelegenheitsarbeiten, Nachbarschaftshilfen oder Tauschmöglichkeiten suchten, hatten die von Kapphan befragten MarzahnerInnen, deren Perspektiven objektiv besser waren, weniger Ideen, wie man solche Strukturen nutzt. Sie nahmen ihre Perspektiven schlechter wahr als die NeuköllnerInnen.

Viele der vorgestellten Studien würde man am liebsten sofort heute, in Zeiten der Aufwertung Neuköllns, noch einmal durchführen – nicht nur die von Andreas Kapphan. Auch die der Architektin Doris Kleilein, die sich 2008 die türkischen Neuköllner Männercafés, die Kahvehane, genauer ansah. Kleilein kam zu dem Schluss, dass viele dieser Cafés nach der Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter in den Sechzigern genauso importiert wurden, wie sie in der Türkei existierten. Heute sind in manchem Café die Wandmalereien von polnischen Malern – und werden von deutschen Anwohnern genutzt, während die Söhne und Enkel der ersten Gastarbeiter andere Cafés mögen.

Es ist Toll, wie schnell die Zeit in der Villa Neukölln verfliegt – man muss dem Wissenschaftszentrum gratulieren. Nur ein einziges Haar in der Suppe gilt es am Ende zu erwähnen: Ziel des Abends war es, die Wissenschaft den Leuten zurückzugeben. Kern der meisten Arbeiten war die Migration. Im Publikum aber saßen eher wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Foto: Archiv