heute in bremen
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„Die Kinder sollen nicht sterben“

FilmABEND Zusammen mit seiner Freundin Naz Gündoğdu drehte Friedemann Pitschak eine Dokumentation über die türkische Fankultur

Friedemann Pitschak

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26, drehte zusammen mit Naz Gündoğdu die Dokumentation „Ayaktakımı“ über die türkische Fußball-Fankultur.

taz: Es ist ein Jahr her, dass Sie in der Türkei waren. Was ist seitdem passiert?

Friedemann Pitschak: Die Doku thematisiert die Einführung von Passolig, ein personalisiertes E-Ticket, und den Prozess gegen die Fangruppe Çarşı, denen ein Putsch gegen die Regierung vorgeworfen wurde. Es hatte einen Freispruch für Çarşı gegeben, allerdings wurde der bald darauf von der Staatsanwaltschaft widerrufen. Gegen das Passolig-System hatte eine Fanrechte-Organisation aus Ankara geklagt – leider erfolglos.

Was ist das Problem an der Fankarte Passolig?

Das ist keine normale Fankarte, sie ist gleichzeitig eine Kreditkarte, die nur bei der regierungsnahen Bank „Aktifbank“ gekauft werden kann. Auf ihr werden alle möglichen Daten gespeichert, sogar Fingerabdrücke. Nach dem Prozess ist es nun verboten, die persönlichen Daten an Dritte weiterzugeben. Das Passolig-System an sich bleibt aber bestehen und es ist denkbar, dass es auch auf untere Ligen und andere Sportarten ausgeweitet wird.

Haben Repressionen im Fußball zugenommen?

Als Fußballfans politisch aktiv wurden, besonders nach den Gezi-Protesten, nahmen auch die staatlichen Repressionen zu. Ein aktuelles Beispiel sind die Strafen gegen die kurdische Mannschaft Amedspor und ihre Fans. Für die Parole „Die Kinder sollen nicht sterben, sie sollen zum Spiel gehen“ wurden 30 Fans festgenommen. Es laufen Verfahren wegen „Staatsverrats“ und „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“.

Lässt sich die türkische Fankultur mit der deutschen vergleichen?

Ein Vergleich ist schwierig, die Fankulturen unterscheiden sich sehr. Neu für mich war der unübersehbare Einfluss der Regierung im Fußball. Manche Vereine existieren nur aufgrund von staatlichen Geldern. Im „Ultra“-Block sieht man schon mal Fahnen mit dem Bild des türkischen Ministerpräsidenten. Das sind Dinge, die man aus Deutschland so nicht kennt. Die deutschen Stadien sind zudem sehr genau nach Spek­tren aufgeteilt. Wer in Ruhe das Spiel schauen will, sitzt auf der Gegengerade, Familien im Familienblock und die Ultras in der Kurve. Sowas gibt es in türkischen Stadien nicht, alle treffen auf der Tribüne aufeinander.

Interview: Leandra Hanke

Samstag, 19 Uhr, Kukoon