Schwere Momente

Schmetterball Die Olympischen Sommerspiele in Rio finden in der Halle ohne deutsche Volleyballteams statt.Nach dem knappen Scheitern der Männer steht die Mannschaft vor einer Zäsur

„Die schlimmste Niederlage meiner Karriere“: Lukas Kampa am Boden Foto: imago

aus Berlin Felix Meininghaus

Als der letzte Ball auf den Boden geflogen war, machte sich im Lager der deutschen Volleyballer Fassungslosigkeit breit. Georg Grozer irrte ziellos übers Feld und landete schließlich am Netz, in das er seinen Kopf drückte. Christian Fromm sank auf den Boden und schlug die Hände vors Gesicht, bei Libero Ferdinand Tille flossen die Tränen. Es war ein Szenario der Trostlosigkeit. Tille sprach von einem „schweren Moment“.

Deutschland hatte in der Berliner Max-Schmeling-Halle vor 7.200 Besuchern beim europäischen Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro das Spiel um Platz drei gegen Weltmeister Polen trotz einer großartigen kämpferischen Leistung mit 2:3 verloren. Damit steht definitiv fest, dass das Gipfeltreffen an der Copacabana ohne das deutsche Team stattfindet. Es war ein episches Drama in fünf Sätzen, bei dem die Deutschen im vierten Satz sogar einen Matchball vergaben.

Es hat nicht sollen sein, für den deutschen Volleyball war es ein schwarzer Sonntag. Zuvor waren bereits die Frauen bei ihrem Turnier in Ankara gescheitert. „Unsere beiden Teams sind nicht dabei“, sagte Thomas Krohne, Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), „im Moment fehlen mir die Worte.“ Die Hoffnungen halten nun noch die Beachvolleyballer hoch, die in Rio immerhin eine Goldmedaille zu verteidigen haben.

Im deutschen Lager herrschte Katerstimmung. Nach dem Matchball erklärte Grozer (31) seine Karriere in der Nationalmannschaft zumindest für die kommenden beiden Jahre für beendet. „So lange mache ich mindestens Pause, das habe ich meiner Familie versprochen.“ Es könnte eine größere Zäsur geben, auch lang gediente Spieler wie Markus Böhme, Sebastian Schwarz, Christian Dünnes oder Jochen Schöps, die alle über 30 sind, werden darüber nachdenken, ob sie noch einen weiteren Olympiazyklus dranhängen. Es wäre das Ende einer starken Generation, die 2014 WM-Bronze holte und damit für die erste deutsche Medaille bei einer Weltmeisterschaft seit 1970 sorgte.

Auch die Zukunft von Bundestrainer Vital Heynen ist offen, „das ist heute nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen“, sagte er am Sonntag. Nach einer internen Absprache soll der Belgier die Mannschaft noch im Frühjahr in der Weltliga betreuen, bei der EM-Qualifikation im September wird dann aber mit großer Wahrscheinlichkeit bereits sein Nachfolger auf der Bank sitzen.

Merkwürdig, dassdie Europäer bei Olympia lediglich vier von zwölfStartplätzen erhalten

Dass es die Deutschen mit dieser Mannschaft verdient gehabt hätten, in Brasilien dabei zu sein, steht außer Frage. Es ist eh merkwürdig, dass die Europäer, die im Volleyball das Weltniveau bestimmen, bei Olympia lediglich vier von zwölf Startplätzen erhalten. Zuspieler Lukas Kampa vertritt die These, dass es „in Rio kaum ein Spiel geben wird, das auf einem solch hohen Niveau stattfindet, wie wir es hier in Berlin gegen die Polen gezeigt haben“.

Seit der exzentrische Belgier Vital Heynen im März 2012 seine Mission auf der deutschen Bank antrat, hat er in aller Deutlichkeit kundgetan, wie negativ er die seiner Meinung nach mangelhaften Strukturen im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) einschätzt. Zuletzt weitete der Trainer seine Kritik gleich auf die gesamte Gesellschaft aus: „Das Problem von Deutschland ist, dass es kein Sportland ist, es keine Sportkultur besitzt“, sagte er in einem Interview mit der Welt. Die Entscheidung von Hamburg, sich nicht für die Olympischen Spiele 2024 zu bewerben, habe ihn „mitten ins Herz getroffen“. Und weiter: „Deutschland hat fast nur Fußball, es fehlt die Wertschätzung für andere Sportarten.“

Das alles muss Heynen in Zukunft nicht mehr beschäftigen. Der Trainer hat sich eine große Reputation erworben, die ihm viele Türen öffnet. Doch im Moment des Scheiterns mochte der 46-Jährige daran nicht denken. Er werde den Abend mit seiner Frau verbringen, „ich habe sie wochenlang nicht gesehen, und wenn ich morgen zu meinem Klub nach Tours fahre, sehe ich sie wieder wochenlang nicht“. Was er im Sommer macht, wenn in Rio das olympische Volleyballturnier läuft, weiß Heynen schon ziemlich genau: „Da laufe ich in den Wald und verstecke mich.“