Eine Welt, wie sie nicht gefällt

Gewalt/Integration Leser schreiben zum Artikel von Joachim Bauer und der Antwort Necla Keleks an Jan Feddersen in der letzten Wochenendtaz

Französischer Soldat am Arc de Triomphe in Paris Foto: ap

Worthülsen

betr.: „Auch irrationale Taten haben Ursachen“, taz vom 21. 11. 15

Das ist interessant. Man braucht also kein linker Ideologe zu sein, um zu erkennen, dass die enorme Ungleichheit die Menschen gegen­einander aufbringt. Darauf sind auch Ökonomen wie Thomas Piketty, Papst Franzikus und sogar die Neurowissenschaft schon gekommen. Wann wird die Politik sich ihrer Verantwortung bewusst?

Liberté, Egalité, Fraternité, die Stichworte der Aufklärung und der Zivilisation, werden jetzt zwar gern in den Mund genommen; aber es sind leere Worthülsen. Egalité und Fraternité finden wir weniger denn je, und die Liberté bleibt dem verwehrt, dem man Bildung und Perspektive vorenthält. Vielen Dank für diesen erhellenden Beitrag von Joachim Bauer!

ULRICH VARWIG, Duisburg

Wir haben die Wahl

betr.: „Auch irrationale Taten haben Ursachen“, taz vom 21. 11. 15

Wenn man schon nicht der Pädagogik und der Soziologie vertraut, muss es halt die Neurowissenschaft richten. Ausgrenzung, Demütigung und Armut sind die Faktoren, aus denen der IS geschnitzt ist. Endlich einmal ein Artikel, bei dem nicht das Grauen, die Angst und die Abwehr im Vordergrund stehen, weil es sowieso niemanden gibt, der den Irrsinn des Terrors bezweifelt. Anstatt über Kontingente zu schwadronieren, Abwehrmechanismen auszudenken und/oder Flüchtlinge und IS-Terroristen gedanklich zu vermischen, haben wir doch eine Wahl. Es sind ja nicht nur die Krisengebiete auf der ganzen Welt, sondern auch unsere hausgemachte Spaltung der Gesellschaft vor unserer Haustür. Arme und Reiche entfernen sich voneinander. Es sind die Besitzenden, die sich die Besitzlosen vom Leibe halten wollen. Das Prekariat muss die soziale Unsicherheit ertragen, und aus diesem Nährboden kann Böses entstehen.

Der „Krieg gegen den Terror“ verschlingt Milliarden an Hardware aus Bomben und Raketen und nützt eigentlich wem? Wir haben immer noch die Wahl zu entscheiden, ob wir unsere Gesellschaft befrieden mit einer Software, bei der Gewalt, Demütigung und Schmerz nicht in dem Maße vorkommen, dass daraus Aggression und Hass entstehen. Durch Bildung kann man Brände löschen. Es liegt an uns, für all diese Werte einzustehen, nach denen wir immer so laut schreien.

WOLFGANG RAUCH, Kronau

Wer den Krieg führt

betr.: „Auch irrationale Taten haben Ursachen“, taz vom 21. 11. 15

Es sei Krieg, sagen die Präsidenten von Frankreich und Deutschland und stoßen damit ins gleiche Horn wie vor Jahren schon Georg W. Bush.

Wenn man schon die Vokabeln aus dem Krieg verwenden will, dann sollte man auch sagen, wer den Krieg begonnen hat. Das waren nicht die Terroristen des IS, es sind unsere weltweit agierenden Großkonzerne. Diese haben zwar keinen Krieg erklärt, sie führen ihn einfach. Wenn unsere EU-Fangflotten vor den Küsten Afrikas den lokalen Fischern die Lebensgrundlage entziehen, wenn unsere Getränkefirmen mit ihren Brunnen den Einheimischen das Wasser abgraben, um ihnen ihr Wasser dann teuer zu verkaufen, wenn unsere Ölmultis ungestraft ganze Landstriche verseuchen und die Existenzgrundlage von Tausenden vernichten, wenn durch unsere Ökosprit-Verordnungen Urwälder für Palmöl gerodet werden, wenn unsere Pestizidhersteller Saatgut patentieren und so Millionen von Kleinbauern ruinieren, dann ist das unsere Art von Krieg. Wir morden langsam – aber immer nach Recht und Gesetz. Doch es ist unser Recht, das wir anwenden, das Recht, dass mit Geld alles gekauft werden kann: Regierungen, Land, Fangrechte, Bohrrechte, Abholzungsrechte. Die Liste unserer Untaten ließe sich fortsetzen. Es ist der fortwährende Kampf Reich gegen Arm. Und hinderliche Rechte und Wertvorstellungen anderer beseitigen wir mit Freihandelsabkommen oder mit der Macht der Weltbank.

Ich danke Joachim Bauer, dass er in seinem Artikel sanft auf die Zusammenhänge hingewiesen hat.

EDGAR MÜLLER, Ohlstadt

Irrglauben

betr.: „Lieber Jan“ von Necla Kelek, taz vom 21. 11. 15

Wer den Islam zum eigentlichen Problem erklärt, baut einen Popanz auf. (…) Hänge doch bitte niemand dem naiven Irrglauben an, dass man „Parallelgesellschaften“ mit radikalislamistischen Einsprengseln verhindern kann, indem man den Orthodoxen und Radikalen „ihren“ Islam wegnimmt. Erstens kann niemand daran gehindert werden, die eigene Interpretation für die einzig wahre zu halten, und wenn Frau Kelek darauf hinweist, dass es doch der Islam sei, der beispielsweise zur Unterdrückung von Frauen führe, so ließe sich ihr entgegenhalten: Die muslimischen Patriarchen unterdrücken Frauen nicht, weil sie Muslime sind, sondern weil sie Frauen unterdrücken wollen – und es ihnen auch aus diesem Grund leicht fällt, Muslime zu sein. Hat das Gebot der Nächstenliebe Christen jemals davon abgehalten, Menschenrechte zu verletzen? Zweitens haben Wut, Überdruss und Verzweiflung noch immer eine passende ideologische Form gefunden. Und wenn nicht, bewaffnen sich eben regelmäßig fehlgeleitete Individuen bis an die Zähne, um anschließend Massaker in Schulen anzurichten. Die Frage, ob das dann auch vielleicht irgendwas mit dem Islam zu tun hat, könnten nur die jeweiligen Individuen, soweit sie ihre Aktionen überleben, beantworten – angesichts der realen Möglichkeit, sich jederzeit per Internet eine zu jedem denkbaren Lebensgefühl passende Patchwork-Ideologie zu basteln, gar nicht mal so unwahrscheinlich.

MARKUS STEUER, Darmstadt

Kommunizieren

betr.: „Lieber Jan“, taz v. 21. 11. 15

Liebe Necla Kelek, ich freue mich darüber, dass Sie in verschiedenen praktischen Projekten für MigrantInnen aktiv sind. Ich kann Ihre Bedenken gegen verschiedene patriarchalische Ausformungen des Islam verstehen. Wie häufig sie sind, kann ich nicht beurteilen. Ich habe persönlich andere Muslime erlebt. Ist durch Abwehr und Ausgrenzung Rettung möglich? Für mich folgt auf der politischen Ebene daraus, dass Sprach- und Kommunikationszusammenhänge auch finanziell gefördert werden müssten. Auf der persönlichen Ebene fühle ich mich noch mehr aufgefordert, selbst Kommunikation anzubieten.

H. ROTTSTEGE-CLEMENS, Kassel

Lösungsvorschläge

betr.: „Lieber Jan“, taz v. 21. 11. 15

Liebe Necla Kelek, natürlich muss man die Flüchtlingsfrauen und -mädchen besonders fördern, Zwangs­heiraten unterbinden, Salafisten aus den Unterkünften rausschmeißen beziehungsweise diesen Faschistenverein am besten ganz verbieten. Aber was willst du mit den Flüchtlingen machen? Massendeportation? Nato-Draht-Zaun ums ganze Land wie bei den Orbán-Faschisten? Nur Meckern bringt uns nicht weiter. Von einer Expertin wie dir müssen wir gangbare und menschlich vertretbare Lösungsvorschläge verlangen.

ERNST SOLDAN, Norderstedt