Der Kleinkrieg um den Friedensnobelpreis

Nobelpreis Hinter der Preisvergabe stehen auch die Interessen der norwegischen Innenpolitik

Das Parlament bestimmt die Mitglieder des Komitees nach Parteiproporz

STOCKHOLM taz | Ein Zugeständnis an China sei das, vermuteten mehrere Medien. Das liberale Dagbladet sprach von „verlorener Ehre“ und einem „Kniefall“ vor Peking. Auf jeden Fall war es ein historisches Ereignis für den Friedensnobelpreis. Im Frühjahr war mit dem Sozialdemokraten Thorbjørn Jagland ein Vorsitzender des Preiskomitees gegen seinen Willen abgesetzt worden. So etwas hatte es in der mehr als einhundertjährigen Geschichte dieses Preises noch nie gegeben.

Die Mitglieder des fünfköpfigen Komitees, das jährlich den Preisträger ermittelt, werden von Norwegens Parlament nach Parteiproporz besetzt. Preisstifter Alfred Nobel hatte es so gewollt. Deshalb führen nach Wahlen geänderte Mehrheitsverhältnisse zu Verschiebungen im Komitee. Doch bisher war stets darauf verzichtet worden, dann auch den Vorsitzenden auszuwechseln. Die konservativ-rechtspopulistische Regierung, die in Oslo seit zwei Jahren im Amt ist, änderte das erstmals.

Ein Signal an Peking mit der Hoffnung auf einen Neuanfang für das belastete bilaterale Verhältnis? Man müsse wohl leider konstatieren, dass viele Politiker nicht das Rückgrat hätten, Meinungsfreiheit wirklich zu verteidigen, wobei es „in Teilen der Wirtschaft noch schlimmer aussieht“, kommentierte Dagbladet.

Nachdem der chinesische Demokratieaktivist Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, legte Peking die politischen Beziehungen zu Oslo aus Protest auf Eis. Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wurden von Peking auf ein Minimum heruntergefahren. China schoss sich dabei besonders auf den Komiteevorsitzenden Jagland ein, der zum einfachen Mitglied degradiert wurde.

Formal sind die Mitglieder des Komitees gleichberechtigt. Doch der Vorsitzende kann diesem Gremium durchaus seine persönliche Prägung geben. Jagland, der ab 2009 amtierte, tat dies in besonderem Maße. Barack Obama (2009) und die 2012 mit dem Preis geehrte EU gelten als „seine“ Kandidaten. Einen „Privatkrieg“ habe er als früherer Vorsitzender der „Ja zur EU“-Bewegung geführt, um diesen Preis durchzudrücken, wird Jagland vorgeworfen. Dabei soll er die neuen Mehrheitsverhältnisse, die sich durch den krankheitsbedingten Ausfall eines Mitglieds zeitweise geändert hatte, für die EU-Entscheidung ausgenutzt haben.

Sollten noch Zweifel bestanden haben, dass zu den vielfältigen Interessen hinter der Preisvergabe auch innenpolitische gehören, dann zerstörte diese neben dem Gerangel um den Komiteevorsitz auch Geir Lundestad. 25 Jahre lang war er Sekretär des Friedensnobelpreiskomitees. Der Historiker schied im Jahr 2014 aus und veröffentlichte Mitte September eine Bilanz über seine Jahre als „Fredens sekretær“, so der Buchtitel.

Darin erzählt er, wie der damalige Außenminister Jonas Gahr Støre mehrfacht interveniert habe, um 2010 den Nobelpreis für Liu zu verhindern. Und warum Obama den Preis bekommen habe? Man habe ihn „ermuntern“ wollen, seine Arbeit für atomare Abrüstung fortzusetzen. Doch habe er die Erwartungen nicht erfüllt.

Kann die norwegische Wirtschaft mit der neuen konservativen Komiteevorsitzenden Kaci Kullmann Five und der nun rechten Mehrheit in diesem Nobelpreisgremium darauf vertrauen, dass nicht wieder eine Preisträgerin oder ein Preisträger ohne Rücksicht auf eine mögliche Beeintächtigung ihrer Interessen ausgewählt wird? 273 Nominierte gab es dieses Jahr. Mit dem als Favoriten gehandelten Papst Franziskus bräuchte sie sich keine Sorgen zu machen. Reinhard Wolff

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