WIEDERGEBOREN
: Eine tote Taube

Drei Möglichkeiten, alle ziemlich krank

U-Bahnhof Eberswalder. Der Winter ist endlich da, nur meine Verabredung lässt sich Zeit. Also beobachte ich die Menschen, die vorbeihuschen. Ein Partymädchen stöckelt vorüber, eine gestiefelte Mieze. Sie säuselt in ihr Telefon. „Süße, ich komm später, aber dafür hab ich Prosecco mit.“

Ich überlege kurz, ob das für meine Verabredung auch eine angemessene Entschuldigung wäre – da fällt mein Blick auf eine Leiche: ein Taubenkadaver auf dem Boden, drei Schritte neben mir, an einer der Säulen, die den Hochbahnhof der U-Bahn tragen. Die Taube ist tot, das ist normal für Berlin. Was nicht normal ist: Unter ihrem Flügel steckt ein Schild. Keine Nummer, wie sie Brieftauben tragen, sondern ein richtiges Schildchen, wie eine Gießanleitung für eine Topfpflanze. Darauf steht nur ein Wort: Bankmanager.

Es gibt drei Möglichkeiten, alle davon sind ziemlich krank. Die erste: Die Taube ist eines natürlichen Todes gestorben. Dann lag sie da und jemand hat ihr das Schild reingesteckt. Ekelig, aber möglich. Zweite Möglichkeit: Jemand hat an einer lebendigen Taube das Schild angebracht und sie ist daran gestorben. Unterkategorie eins: Sie starb an den physischen Folgen des Eingriffs. Unterkategorie zwei: Sie starb an purer Scham und wollte vor ihren Freunden nicht als Scheißkapitalistin dastehen.

Letzte Möglichkeit: Eines dieser Wellness-Seminare für Manager, „Buddhismus am Wochenende“, mit einem kurzen Exkurs zum Thema Wiedergeburt. Der Manager war angetan, sehnte sich nach einem neuen Leben. Die Frage war, welches Tier gut zu ihm passen würde. Das Orakel entschied, es müsste ein Tier sein, von dem es schon viel zu viele gibt und das viele Leute hassen, weil es alles vollkackt. Dann bleibt nur noch zu klären, warum der Manager seine alte Existenz in das neue Leben mitnehmen musste und warum er auch in diesem so kläglich gescheitert ist. MARGARETE STOKOWSKI