von Susanne Stiefel
: Der Brüderle-Effekt

Die Zeit des Weghörens ist vorbei, Laura Himmelreich, der Kollegin vom Stern, sei Dank. Verbindlich lächeln und so tun, als ob frau die anzügliche Bemerkung überhört habe, über den Hintern, der den Rock so super modelliert oder den Busen, der auch ein Dirndl ausfüllen würde. Frauen erleben häufig, dass sie und ihr Aussehen sexistisch kommentiert werden, besonders beliebt sind solche Kommentare, wenn Frauen sachlich reden. Das hat mit Flirten nichts zu tun, das soll verunsichern: Die Politikerin etwa, die sich mit Parteifreunden über den neuen Gesetzentwurf austauscht. Die Naturwissenschaftlerin, die die Ergebnisse ihrer Forschung erörtern will. Oder eben die politische Journalistin, die sich an der Bar über die nicht eben kommode Lage der FDP unterhalten will.

Ja, warum eigentlich nicht an der Bar? Ist dies ein Ort, an dem Frauen zum Barmädchen und damit nach männlicher Logik zum Freiwild erklärt werden? Weil brave Mädchen keinen Alkohol trinken und ab Mitternacht im Bett zu liegen haben?

Nun wird nicht länger geschwiegen. Schluss mit dem damit signalisierten Einverständnis an pöbelnde Männer. Der zehntausendfache Aufschrei, den die Twitter-Aktivistin Anne Wizorek losgetreten hat, zeigt, dass der tägliche Sexismus hier in Deutschland keineswegs ausgestorben ist – auch, wenn sich viele Frauen dieser Hoffnung hingegeben hatten. Verwunderlich ist allerdings, wie dünn die Kruste ist, und dass darunter immer noch „die alte Kacke am Dampfen ist“, wie sich Alice Schwarzer treffend und drastisch bei Gunter Jauchs Diskussionsrunde zu Wort meldete. Nur zur Aufklärung an FDP-Kubicki und Gesinnungsgenossen, die solche Entgleisungen unter „Flirten“ abbuchen und beleidigt verkünden, sie würden mit Frauen nicht mehr Aufzug fahren: Mit Flirten hat dieses Gehabe nichts zu tun, Flirten beruht immer noch auf gegenseitigem Einverständnis.

Damit soll keine neue Opferdiskussion losgetreten werden. Sicher gibt es auch Frauen, die nicht nur ihr fachliches Können, sondern auch ihre weiblichen Reize einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie haben im Kampf um gute Arbeitsplätze und Jobs gelernt, dass Messer an den Ellenbogen manchmal helfen – und manchmal auch das Mitspielen nach männlichen Regeln. Das muss keiner gut finden. Aber wer behauptet, Frauen seien die besseren Menschen? Sie haben genauso das Recht auf Fehler wie die andere Hälfte der Menschheit. Dass sie Männer massiv anbaggern und anzüglich auf deren Hosenlatz starren, ist allerdings eher selten.

Frauen überhören nicht mehr höflich, sondern hören genau hin – und wehren sich. Die Debatte um Sexismus im Alltag ist mehr als ein Strohfeuer, der Aufschrei ist noch lange nicht verhallt. Es wird wieder diskutiert über ein Thema, das man schon erledigt glaubte. Das ist der Brüderle-Effekt, insofern kann frau nicht nur Laura Himmelreich, sondern auch dem zotigen FDP-Spitzenpolitiker gratulieren. Und wenn er zukünftig nicht nur feige zu den Vorwürfen, sondern auch an der Bar schweigen sollte, dann wäre er ein Kandidat für einen neu zu schaffenden Orden: „Feminist wider Willen“.