Verkehr II: Hauptstadt der Pedalbewegung

Der Anteil von Radfahrern am Verkehr hat enorm zugenommen. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen. Von dem Boom profitieren Geschäfte, Anwohner und sogar motorisierte Lieferanten. Viele Neuradler pfeifen jedoch auf die Verkehrsregeln.

Immer mehr Berliner steigen auf's Rad. Bild: AP

Berlin ist spitze - nicht nur in puncto Schulden oder Besucherströme, sondern auch beim Fahrradverkehr. "Im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen hat Berlin den höchsten Anteil von Radfahrern am Gesamtverkehr", sagt Berlins Fahrradbeauftragter Benno Koch. Und das ist nicht alles: Obwohl die Berliner traditionell wenig Scheu vor dem Zweirad haben, ist der Radverkehr von 2004 bis 2006 um satte 20 Prozent gestiegen. Derzeit werden 12 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt, sagt Koch. Im Stadtbezirk Mitte liegt der Anteil sogar bei 20 Prozent.

Andere europäische Großstädte wie London, Barcelona oder Paris, die den Radverkehr zurzeit massiv bewerben, können von solchen Zahlen laut Koch nur träumen. Zwar liege der Anteil der Radler in kleineren "Großstädten" wie Amsterdam oder Münster höher, aber die dort zurückgelegten Entfernungen sind für Berliner Verhältnisse nicht gerade ernst zu nehmen.

Radlobbyist Koch sieht als Grund für den Anstieg vor allem den von ihm mit verantworteten Ausbau der Fahrradinfrastruktur. "In diesem Jahr werden wir 17 weitere Kilometer Radspuren schaffen. Damit erreichen wir die Marke von 100 Kilometern Straßenspuren für Radler", freut er sich. Auf den speziell gekennzeichneten Fahrbahnstreifen werden Fahrradfahrer beim Rechtsabbiegen besser gesehen als auf separaten Radwegen. Das verringert das Unfallrisiko.

Umstritten ist unter Experten, ob die hohen Spritpreise zum Fahrradboom beitragen. Eines ist jedoch Konsens: Die gestiegene Pedalkraft ist gut für die Stadt. Sarah Stark, die Vorsitzendes des Berliner ADFC, glaubt, dass der Fahrradverkehr dem Tourismus, dem Ruhebedürfnis der Städter und sogar der vierrädrigen Wirtschaft zugute kommt. "Durch die Abnahme des motorisierten Individualverkehrs fließt der Verkehr flüssiger. Lieferfahrzeuge kommen schneller voran", hat sie beobachtet.

Auch die Radläden profitieren. Es gebe zwar keinen enormen, aber einen stetigen Anstieg der Verkaufszahlen, sagt Gabriele Deuse von der Firma Fahr Rad, die in Berlin mehrere Radgeschäfte betreibt. Vor allem kostengünstige und einfachere Fahrräder würden gekauft. Auch etwas teurere Fahrräder mit einer wartungsarmen Narbenschaltung und dadurch geringeren Folgekosten seien bei den Städtern gefragt. Dass der Trend in Richtung puristischerer Fahrräder gehe, bestätigt Nils Altvater von der Radspannerei in Kreuzberg. Der Verkaufsschlager hier: Räder mit nur einem Gang. Es werde allerdings auch häufiger das alte Klapperrad wieder aus dem Keller geholt.

Der Fahrradboom hat jedoch auch Kehrseiten: Berliner, die neu auf das Rad umgestiegen sind, seien häufig langsamer und weniger bereit, die eigentlich sichereren Straßenspuren zu benutzen, so ADFC-Chefin Stark. Und wo Zweiräder von Autos an den Rand gedrängt werden, gebe es durch die neuen Radfahrer daher zusätzliche Konflikte mit Fußgängern. Laut Benno Koch halten sich die Neuradler weniger an die Regeln des Straßenverkehrs. Abhilfe könnten großzügigere Radspuren und mehr Mittel für Verkehrsschulungen schaffen, glauben Koch und Stark.

Immerhin: Die Verkehrssicherheit scheint nicht übermäßig unter den Neuradlern zu leiden. Zwar ist die Zahl der schwer verletzten Fahrradfahrer seit 2004 um knapp 10 Prozent gestiegen, durch die Zunahme des Radverkehrs insgesamt bedeutet das aber, dass auf jeden einzelnen Radfahrer weniger Unfälle kamen.

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