„Überprüfen, ob drin ist, was draufsteht“

SKANDAL Mehr als sechs Monate verkauften Betrüger Hunderte Tonnen Pferde- als Rindfleisch – ohne von Kontrolleuren behelligt zu werden. Der Fall zeigt, wie schlecht Lebensmittel in der EU überwacht werden

■ Das in Pferdefleisch entdeckte Medikament Phenylbutazon ist nach Experteneinschätzung keineswegs harmlos. Als Nebenwirkungen des Mittels gegen Entzündungen seien schwere allergische Reaktionen oder Blutbildschäden möglich, unabhängig von der Dosis, sagte Petra Zagermann-Muncke von der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker.

■ Tests der britischen Lebensmittelaufsicht hatten ergeben, dass Fleisch von wohl acht mit dem Medikament gespritzten Pferden in die Nahrungskette geraten ist. Bisher gibt es keine Hinweise, dass es als Rindfleisch deklariert in den Handel gekommen ist. dpa, taz

VON JOST MAURIN

BERLIN taz | Die Kontrolleure waren mal wieder zu spät: Mindestens seit vergangenem Sommer mischte die französische Firma Spanghero nach Angaben des Verbraucherschutzministeriums in Paris Pferdefleisch in Lasagne – doch gemerkt haben die europäischen Behörden das erst sechs Monate später.

Das war genug Zeit, damit Spanghero mehr als 750 Tonnen Pferdefleisch aus Rumänien beziehen konnte. Rund 200 Tonnen davon verarbeitete das Unternehmen selbst zu Merguez-Würsten und unter einer Eigenmarke zu Fertiggerichten. Der große Rest landete bei dem Tiefkühlkosthersteller Comigel in Luxemburg. Aus diesen 550 Tonnen stellte Comigel schließlich mehr als 4,5 Millionen falsch ausgezeichnete Fertigprodukte her. Diese gingen an mindestens 28 Firmen in 13 europäischen Ländern.

Nach Deutschland wurden 179.450 Packungen der verdächtigen Lasagne geliefert, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz am Freitag der taz mitteilte. Das wären bei einer Packungsgröße von 400 Gramm ungefähr 72 Tonnen. Betroffen seien alle Bundesländer.

Pferdefleisch schadet nicht der Gesundheit. Aber die falsche Kennzeichnung ist Betrug am Verbraucher, der nicht das Fleisch bekommen hat, für das er bezahlt hat.

Sechs Monate konnten die Betrüger also kräftig an vermutlich sehr billig erworbenem Pferdefleisch verdienen, ohne behelligt zu werden. „Die sogenannte Qualitätskontrolle der Handelskonzerne hat versagt“, urteilt deshalb Matthias Wolfschmidt, Vizegeschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch.

Erst am Freitag erklärten nach den Supermarktketten Real und Edeka auch Lidl, Aldi Süd und Kaiser’s Tengelmann, dass in von ihnen verkauften Fertiggerichten ebenfalls Pferdefleisch gefunden wurde. Da war ein Großteil der Ware schon gegessen. Am selben Tag beschlossen die EU-Länder in Brüssel, europaweit Tausende Stichproben von verarbeitetem Rindfleisch per Gentest zu untersuchen. Dies gilt für einen Monat – mit der Option, die Stichprobennahme um zwei Monate zu verlängern. Das hilft aber nur noch, das Ausmaß dessen zu bestimmen, was bereits geschehen ist.

Gentests der Handelskonzerne hätten den Betrug verhindern können, meint Foodwatch-Mann Wolfschmidt. Bisher seien die Händler nicht verpflichtet, zu untersuchen, ob die Ware ihrer Kennzeichnung entspricht. „Wir wollen, dass sie bei jeder Lieferung ihrer Produkte überprüfen müssen, ob drin ist, was draufsteht, und ob schädliche Stoffe enthalten sind“, sagt Wolfschmidt. Die Kosten seien überschaubar: Ein Gentest etwa schlage – ohne Mengenrabatt – mit nur 150 Euro netto zu Buche. „Dann kostet die Lasagne halt ein paar Cent mehr, aber das sollte uns mehr Sicherheit wert sein.“

In manchen Bundesländern ist nur ein Kontrolleur für 1.000 Betriebe zuständig

Um die Abschreckung zu steigern, muss Wolfschmidt zufolge auch die Höchststrafe für Betrug nach dem Lebensmittelstrafrecht höher sein. Für die falsche Deklaration von Zutaten, die nicht gesundheitsschädlich sind, ist bisher nur ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro vorgesehen. „Das ist gegenüber den 8 Milliarden Euro Jahresumsatz von Metro nichts. Das juckt die gar nicht“, so der Foodwatch-Vize.

Oft braucht es zu lange, bis Skandale aufgeklärt sind. Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzminister Johannes Remmel beklagte, nach dem ersten Verdacht auf Falschdeklarierung von Produkten hätten die Unternehmen die Behörden zu spät informiert. Mindestens 10 Tage seien verstrichen, in denen schon Proben hätten analysiert werden können. „Wir müssen das Gesetz so ändern, dass die Firmen bei relevanten Verstößen gegen Kennzeichnungspflichten die Behörden informieren müssen“, sagte der Grünen-Politiker der taz. Die Behörden müssten auch Namen von verdächtigen Produkten nennen dürfen, auch wenn sie die Gesundheit nicht gefährden.

Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels wies die Vorwürfe zurück. Die Firmen hätten angesichts erster Verdachtsfälle die „Produkte vorsorglich aus dem Verkauf genommen“, teilte Präsident Friedhelm Dornseifer mit. „Umgehend wurde mit der Produktanalyse begonnen. Nachdem positive Testergebnisse vorlagen, haben sie die Öffentlichkeit informiert“, erklärte er.

Die besten Gesetze helfen nichts, wenn das Risiko, bei Verstößen ertappt zu werden, nur gering ist. Der Chef des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller, berichtet, dass in manchen Bundesländern ein Kontrolleur für 1.000 Betriebe zuständig ist. „Wir brauchen 1.200 bis 1.500 neue Kollegen zusätzlich zu den derzeit 2.400.“ Die Kontrollen müssten zentralisiert werden. Derzeit sind dafür Hunderte Landkreise zuständig. „So“, kritisiert Müller, „können wir nicht den nötigen Kontrolldruck aufbauen.“

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