Meditieren: Alles ist erleuchtet

Um in sich zu gehen, muss man nicht allein sein. Rund 25.000 Besucher halten bei strömendem Regen bis zum Abend im Olympiastadion durch, um beim World Culture Festival von Guru Ravi Shankar beseelt zu werden.

Fröhlich Erleuchteter beim World Culture Festival. Bild: DPA

Sri Sri Ravi Shankar leuchtet. Zumindest wirkt es so, wie er in seinem weißen Gewand, die wärmende Decke in Beige um die Schultern gelegt, im Olympiastadion in einem weißen Sessel in der Ehrenloge sitzt und dauerlächelt. Man kann ja nie wissen, wann das nächste Mal die Kamera sein Gesicht in Großaufnahme auf die Stadionleinwand wirft.

Der indische Guru, in der Vergangenheit von Kirchenvertretern in die Sektenecke gestellt, lehrt die "Kunst des Lebens". Er war Ehrengast beim World Culture Festival, das am Wochenende in Berlin gastierte. Das viereinhalbstündige Showprogramm am Samstagabend kann es in Sachen Internationalität und abstrusen Volkstänzen wohl mit jeder Eröffnung einer Olympiade aufnehmen. Ravi Shankar kommt darin zwischen all den argentinischen Tangotänzern und Schweizer Alphornbläsern die Rolle des Hauptdarstellers zu: Eine 20-minütige Friedensmeditation ist im Programm angekündigt. Wie viel schöner könnte das sein, Anfang Juli unter freiem Himmel? Nicht so wie erhofft, denn ins Stadionrund prasselt bei kühlen 13 Grad Dauerregen nieder.

70.000 Menschen hätten im Stadion Platz, doch nur ein Bruchteil der Sitze ist am Abend besetzt. In bunten Regencapes haben sich die Besucher, die für ein Zweitagesticket zwischen 30 und 100 Euro gezahlt haben, an den oberen Rand des Stadions verkrochen, wo das Dach noch am ehesten vor den von Windböen aus allen Richtungen peitschenden Regen schützt. Doch die nasse Kälte ist auch hier zu spüren. Vielleicht auch deshalb tanzen die Menschen wild auf ihren Plätzen mit, als eine deutsche Volkstanzgruppe unten auf dem Rasen Ravi Shankars Vorband gibt.

Als sich die Gruppe winkend in die Katakomben zurückzieht, ergreift der Guru das Wort. "Gut gemacht", verabschiedet er die trachtentragenden Deutschen. Nach all der Musik sein nun aber ein Moment der Ruhe gekommen. Um den zu zelebrieren, solle man sich bitte setzen und seine Hände schütteln.

Diejenigen, die sich bis eben noch vor dem Wetter in den Gängen versteckt haben, müssen nun rennen. Es wuselt im Stadion, um die gut erreichbaren Plätze am Gang unter dem Dach entsteht ein Gerangel wie bei der Reise nach Jerusalem, während die schon Sitzenden artig mit ihren Hände in der Luft herumwedeln. Es hört sich an wie Flügelschläge und sieht aus, als hätten tausende Menschen nach dem Händewaschen kein Handtuch gefunden.

"Wir schließen unsere Augen und konzentrieren uns auf unsere Körper", sagt Shankar, zunächst auf Englisch, dann auf Deutsch, damit die Gäste aus aller Welt verstehen, was nun zu tun ist. Im Stadion klappen die Augenlider zu, die Köpfe werden gesenkt und Hände im Schoß gefaltet. "Wenn der Körper sich entspannt, weitet sich der Geist." - "Lass das Kind in dir erwachen." - "Du bist Frieden, du bist Frieden."

Zur Untermauerung dieser langsam und wohl bedacht vorgetragenen Sätzen des Gurus spielt ein Flötist Meditationsmusik auf einem fagottgroßen exotischen Holzblasinstrument. "Mama, wann fängt die Lasershow an?", fragt ein kleines Mädchen in der Ostkurve. Ein anderes Kind steht derweil vor Wut weinend auf den Treppen und klammert sich an die Beine seiner Mutter, nachdem es kurz vorher bei dem Versuch gescheitert war, einen der noch unbesetzten Plätze sechs Sitze vom Gang entfernt zu erreichen. Von den Meditierenden wurde es einfach nicht durchgelassen. Gleichzeitig beseelt und mildtätig zu sein, ist dann wohl doch zu viel des Guten.

"Alles ist besser: Du bist Freude, du bist Liebe", sagt Shankar. "Om", singt er vor, und die Menschenmasse, die mit ihm meditiert, singt es ihm nach. Im Kessel des Stadions wird daraus ein lautes Summen, das die Steine des Baus vibrieren lässt. "Langsam ausatmen und zurückkommen", gibt der Guru vor. Auch er öffnet auf der großen Leinwand die Augen. "Geht es gut?" Es wird verhalten geklatscht. "Alle Leute glücklich?" Schwacher Jubel. "Sehr gut, danke." Shankar gibt das Mikrofon, das er die ganze Zeit in den gefalteten Händen hielt, zurück und macht es sich in seinem Sessel bequem. Das Unterhaltungsprogramm übernimmt nun wieder vom Rasen aus eine israelische Gruppe mit Lichtshow und Weltmusik.

Thomas Loos hat gerade das erste Mal in seinem Leben meditiert. Der junge Berliner ist über einen Bekannten zum Festival gekommen. "Die Leute hier haben Interesse an Gemeinsamkeiten, und daher hat auch die Meditation als gemeinsames Erlebnis einen besonderen Wert", findet er. Besonders beseelt sieht er jedoch nicht aus.

Was ihn von Lidija unterscheidet, die extra aus Kroatien für dieses Ereignis angereist ist. "Ich meditiere auch zu Hause viel, aber diesmal, mit so vielen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen gemeinsam, war es besonders", sagt sie. Das sei natürlich auch der außergewöhnlichen Ausstrahlung von Shankar zu verdanken. Eine Erleuchtung kann auch Dauerregen nicht verhindern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.