Doku zum Tsunami-Jahrestag: "Das Allerwichtigste ist dein Leben!"

Wie lebt man weiter nach den Katastrophen? Die Doku "Kinder des Tsunami" nimmt die Perspektive der Kinder ein. Die Trauer macht den Film nicht leicht zu sehen.

Die Trauer ist allgegenwärtig: Die 10-jährige Ayaka Kamada betet für ihren beim Tsunami verstorbenen Großvater. Bild: SWR/Renegade Pictures

Ein Jahr ist das nun schon wieder her. Erdbeben. Tsunami. Fukushima. Wie bei 9/11 liefen damals die immer gleichen Bilder über alle Kanäle. Bilder von gegen Brückenpfeiler gequetschten Schiffen oder von Rauchwolken über explodierenden Kühltürmen. Bilder, die zum anstehenden Jahrestag am 11. März gewiss wieder gezeigt werden.

Die Dokumentation „Kinder des Tsunami“ von Dan Reed, die die ARD heute Abend ausstrahlt, kommt ohne all diese Bilder aus. Und das ist – so wenig falsch es ist, sie noch einmal zu zeigen – das Gute an dieser Koproduktion mit der BBC. Stattdessen zeigt der Film den Status quo in Japan. Das, was übrig geblieben ist. Eine vom Tsunami zerstörte Schule. Oder die nur notdürftig aufgeräumte Sperrzone um Fukushima, die ziemlich genau so aussieht, wie Setdesigner von Spielfilmen postapokalyptische Landschaften zu inszenieren pflegen.

Hauptsächlich aber sieht man Menschen. Menschen, die erzählen, wie sie die Katastrophe überlebt haben und wie sie damit umgehen. Gefilmt in naher Einstellung, vom Kopf bis zum Oberkörper. Diese Menschen sind die im Filmtitel zitierten Kinder, auch ihre Eltern kommen zu Wort.

Derartiger Oral-History-Dokumentarismus im Fernsehen hat, Guido Knopp sei Dank, heute schnell einen schlechten Beigeschmack. Der Doku „Kinder des Tsunami“ ist aber zugutezuhalten, dass sie das allzu Anekdotische oder Reißerische konsequent vermeidet.

Verbitterung über den Staat

Der eigentliche Clou des Films soll seine besondere Perspektive sein, die der Kinder. Bemerkenswerterweise unterscheidet sich diese nicht wesentlich von der der Erwachsenen, die ihre eigene Hilflosigkeit erfahren müssen. Und die auf die gleiche irrationale Weise wie die Kinder, die meist um die 10 Jahre alt sind, fassungslos sind, weil sie sich von einem geliebten Menschen nicht mehr haben verabschieden können. Die Schilderungen der Kinder sind auch nicht etwa weniger sachlich oder weniger konzentriert als die der Erwachsenen.

Was vielleicht doch einen Unterschied macht, ist die Verbitterung der Erwachsenen über das Verhalten des Staates. „Vielleicht ist es ja eine Eigenart der Japaner, sobald etwas stinkt, den Deckel draufzutun“, sagt Sayomi Shito. „Leute in öffentlichen Positionen: wenn ihre Kinder nicht betroffen sind, wenn sie selbst nicht in radioaktiv verstrahlten Gebieten wohnen, kümmert es sie nicht.“ Shito hat ihre Tochter bei der Katastrophe verloren: „Als Shizato gefunden wurde, waren ihre Fingernägel alle nach oben gebogen. Sie hat wohl verzweifelt versucht, die Steinmauer hochzuklettern.“

Es gibt viel Trauer

Der Off-Kommentar des Films beschränkt sich auf notwendigste Informationen: „An der Okawa-Grundschule sterben an jenem Freitagnachmittag zehn Lehrer und 74 Kinder.“ Der zehnjährige Soma erzählt, dass 13 seiner 16 Klassenkameraden gestorben sind. Es ist nicht einfach, diesen Film anzusehen, es gibt viel Trauer. Es geht aber auch um den Alltag, der wieder einkehrt. Ein Vater, Hitoshi Kamada, führt ein Strahlenmessgerät aus der Ukraine vor, dass er sich per Internet beschafft hat. Seine Tochter Ayaka soll nicht in allzu stark verstrahltem Gelände spielen. Besser auf Asphalt als auf Rasen. Und nie länger als dreißig Minuten.

Ein Bauer, Naoto Matsumara, ist als letzter Einwohner in der verstrahlten Stadt Tomioka geblieben. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Das ist meine Heimat“, sagt er. „Ich will hier nicht weg. Das kann mir auch niemand befehlen. Weder die Polizei noch der Staat kann mir befehlen, zu gehen.“ Der zehnjährige Rikku stammt aus derselben Stadt, sieht das aber anders: „Auch wenn man Tomioka noch so sehr liebt, auch wenn es der Lieblingsort für einen ist, darf man da nicht hinziehen. Weil das Allerwichtigste dein Leben ist!“

Wer von beiden hat recht? Eine Frage des Lebensalters scheint es jedenfalls nicht zu sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.