Ambitionierter Thriller in der ARD: German Psycho

Wenn der Nächste zur Bedrohung wird und Charly Hübner einem Angst einjagt, dann sind wir „Unter Nachbarn“ – im Thriller und Drama gleichzeitig.

Robert (Charly Hübner, li.) glaubt, in seinem neuen Nachbarn David (Maxim Mehmet, re.) einen Freund fürs Leben gefunden zu haben. Bild: © SWR/Felix Cramer

Dabei fängt doch für David alles so vielversprechend an. Neue Stadt, neuer Job, neues Haus, neuer Nachbar. Er klingelt: „Hi. Entschuldigen Sie die Störung. Ich bin grad nebenan eingezogen, ha’m Sie vielleicht ’n Schraubenzieher für mich? Und ’n Hammer? Ich bau grad meine Möbel zusammen.“ Noch am gleichen Abend klingelt der Nachbar, hat seinen Werkzeugkoffer in der Hand: „Ich hab grad eh nichts anderes zu tun und – ja, kleine Hilfe unter Nachbarn.“ „Unter Nachbarn“ – so heißt der Film.

David ist von der lässigen Sorte, einer, dem alles leicht fällt, alles zufliegt. Als der Zeitungsjournalist zur Eröffnung eines Basketballplatzes muss, hört er sich die langweiligen Ansprachen der Honoratioren nicht lange an, wirft lieber ein paar Körbe mit einem Jungen, der einmal Profi werden will. Prima Story, der neue Chef ist gleich begeistert, das muss gefeiert werden. Mit dem Nachbarn. Der ist so ziemlich das Gegenteil von David: Ein verklemmter Spießer, der Ritterfiguren im Setzkasten sammelt.

Und das Unglück nimmt seinen Lauf. Zwei Bier in der Disko, eine kleine Unachtsamkeit auf der Heimfahrt. David hat eine junge Frau überfahren, sie ist sofort tot. Der Nachbar drängt zur Fahrerflucht. Das hätte jedem passieren können, wem ist damit gedient, wenn David ins Gefängnis muss:

„Du kannst nichts dafür. Es war ein Unfall.“

„Ich weiß.“

„Dann sag’s!“

„Was?“

„Es war ein Unfall. Sag’s!“

„Es war ein Unfall.“

„Nochmal!“

„Es war ein Unfall!“

„Genau. Es war ein Unfall!“

Was sich da entwickelt, ist ein Potpourri schon mal gesehener Genre-Motive. Ein neuer Nachbar, scheinbar nett und hilfsbereit, der sich dann als Psychopath erweist, das gab es zum Beispiel in John Schlesingers „Pacific Hights“. Eine noch unter Schock begangene Fahrerflucht mit anschließenden Seelenqualen gab es auf der jüngsten Berlinale in Matthias Glasners „Gnade“, aber auch schon vorher in Christian Petzolds „Wolfsburg“. Da verliebte sich die unwissende Mutter des überfahrenen Jungen in den Fahrerflüchtigen – es folgte die Erkenntnis. In „Unter Nachbarn“ ist es die Schwester (Petra Schmidt-Schaller) der Toten, die sich in David verliebt – es folgt die Erkenntnis. Sie lernen sich kennen, weil – zufällig – David derjenige ist, der für seine Zeitung über den Unfall schreiben soll.

Stephan Rick (Buch und Regie) und Silja Clemens (Buch) haben ihre ersten Sporen bei KiKA-Serien verdient, mit „Die Pfefferkörner“ und „Allein gegen die Zeit“. Das Problem ihres ersten abendfüllenden Spielfilms ist nicht, dass er so unrealistisch ist. Das sind die genannten Vorbilder auch. Aber deren Regisseure hatten einen – jeweils anderen – Plan, den sie konsequent umgesetzt haben. Das Problem von Rick und Clemens ist, dass sie ein bisschen zu eklektisch vorgegangen sind, Drama und Thriller gleichzeitig wollten. Dabei hat ihr Film einige durchaus stimmige Momente, insbesondere Bildeinstellungen (Kamera: Felix Cramer).

Licht und Schatten – auch bei den beiden Hauptdarstellern. Der in Komödienrollen („NVA“, „Fleisch ist mein Gemüse“, „Männerherzen“) aufgefallene Maxim Mehmet legt seinen Journalisten zu unbedarft an. Wie er sich da die Hand vor den Mund hält, wenn es ihm nach 75 Minuten endlich wie Schuppen von den Augen fällt: „Du spinnst! Du bist krank! Du musst zum Arzt!“

Charly Hübner, komödienerfahren auch er („Ladykracher“), spielt den kranken Nachbarn auch nicht gerade subtil. Wie auf Knopfdruck ändert er regelmäßig seine Mimik. Aber das passt. Hübners („Polizeiruf 110“) Interpretation eines unbeholfen-charmanten, impulsiv-dämonischen, verantwortungslos-verzweifelten Psychopathen ist das definitive Highlight des Films. „Unter Nachbarn“, Mittwoch, 30. Mai, 20.15 Uhr, ARD

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