Mehdorns Party ist vorbei

Der Bahnchef muss lernen, dass die Zeit der Expansion für die DB vorbei ist. Wenn Bund und Länder ihre Mittel für den Regionalverkehr kürzen, droht dem Konzern der Kollaps

Die Bahn kann sich jetzt zwischen Sanierung und Crash entscheiden

Einmal waren die Deutschen in der Bahnpolitik Avantgarde: Ab 1996 sollten sich private Anbieter im Nahverkehr bewerben können. Sukzessive sollten Strecken ausgeschrieben und die Eisenbahnunternehmen mit dem günstigsten Angebot den Zuschlag erhalten. Ziel war, den Nahverkehr attraktiver zu machen und gleichzeitig die Zuschüsse zu senken. Eine gute Idee für mehr Wettbewerb – doch die Umsetzung erfolgte im Schneckentempo. Bis heute ist nur ein Bruchteil der Züge ausgeschrieben worden. Bei derzeitiger Reformgeschwindigkeit wird der Wettbewerb erst jenseits 2025 vollendet sein.

Ausgeschrieben wurden zudem überwiegend „Armutsstrecken“ mit hohen Kosten je Fahrgast und geringem Fahrgastpotenzial. Etwa 90 Prozent der Züge fährt noch immer DB Regio, die Nahverkehrstochter der Deutschen Bahn, mit pauschalen Verträgen und nicht zu Marktpreisen. Diese wären ihr auch abträglich, weil sie – wie sie selbst einräumt – zu hohe Personal- und Gemeinkosten (zum Beispiel fünf Prozent Konzernumlage) mitschleppt. Das Gros der Strecken von DB Regio wird dabei immer attraktiver: die Armutsstrecken wird sie los, zugleich bleiben ihre Pauschalverträge üppig dotiert. An diesen Pauschalverträgen mit den Ländern verdient die Bahn sich eine goldene Nase.

Die Trassenpreise, die Preise für die Netznutzung, legt die DB Netz, die Netzgesellschaft des DB-Konzerns, fest. Im Ergebnis trägt der Nahverkehr zu zwei Dritteln aller Netzerlöse bei. „Zahlungsbereitschaften abschöpfen“ nennt man das. Der Topf, aus dem abgeschöpft wird, sind die Regionalisierungsmittel. Weder der Güterverkehr noch der schnelle Personenverkehr mit dem ICE sind „zahlungsbereit“. Damit das betriebswirtschaftliche Desaster des ICE-Verkehrs nicht offenkundig wird, werden seine Preise für die Nutzung der Fernverkehrsstrecken so niedrig angesetzt, dass er nur 20 Prozent zu den Netzerlösen beiträgt.

Dem größten Kostentreiber des Netzes, dem ICE, werden Trassenpreise abverlangt, die weit unter den plausibel zurechenbaren Kosten liegen. Der TGV in Frankreich wird beispielsweise auf der Strecke Paris – Brüssel mit mehrfach höheren Trassenpreisen belastet.

Warum verzichten die Länder darauf, die Pfründen von DB Regio aus den lukrativen Pauschalverträgen schneller zu beseitigen? Warum zeigen sie sich so verschwenderisch „zahlungsbereit“ bei den Trassenpreisen für die Nahverkehrszüge? Weil ein sparsamer Umgang sich nicht lohnt. Die Regionalisierungsmittel sind für den Nahverkehr zweckgebunden, Überschüsse erzeugen nur Begehrlichkeiten beim Bund, die Mittel zu kürzen. Zudem verhandelt jedes einzelne Bundesland gern mit der Bahn, um Bundesmittel für Netzinvestitionen oder DB-Arbeitsplätze ins eigene Land zu lenken – zu Lasten der übrigen Länder, versteht sich.

Wer gut mit der Bahn verhandelt, kann dann schwerlich die Verschwendung von Regionalisierungsmitteln beklagen. Der Schienenverkehr wird letztlich trickreich aus Steuermitteln genährt – direkt über üppig dotierte pauschale Nahverkehrsverträge, indirekt über überhöhte Netzpreise für den Nahverkehr. Zugekaufte Logistikunternehmen (wie etwa Schenker beziehungsweise Bax Global in den USA) verwässern das Betriebsergebnis des defizitären Schienengüterverkehrs.

Die Logistik hat zwar hohe Wachstumsraten, aber es herrscht dort bereits herber Kostenwettbewerb mit immer knapper ausfallenden Margen. Es ist verwegen zu glauben, der Schienengüterverkehr wäre über den Vertriebskanal „Logistik“ zu sanieren. Im Gegenteil: Logistikkunden erwarten die günstigste Transportkette. Besteht der Verdacht, der Logistiker sei gehalten, der Güterverkehrssparte Gutes zu tun, wird er zum Konkurrenten wechseln. Zudem tritt die Bahn in Form der Tochter „Railion“ als Partner der Logistikbranche auf, mit dem Transportunternehmen Schenker ist sie Wettbewerber.

Konkurrierende Logistiker werden davon abgeschreckt, bei der Bahn zu verladen, weil sie befürchten, dass Schenker ihre Daten abgreift. Die Bahn müsse „das bisherige Agieren ‚zwischen den Stühlen‘ – als Kooperationspartner und Wettbewerber zugleich – aufgeben“, wusste die Regierungskommission Bahn schon vor 15 Jahren. Geschehen ist das Gegenteil.

Die Eigenkapitalquote des Konzerns ist mit zehn Prozent nur noch dürftig, die Schulden nähern sich mit 25 Milliarden dem Jahresumsatz. Nun will die Bundesregierung die Regionalisierungsmittel kürzen – in den nächsten Jahren um mindes- tens 20 Prozent. Sie weiß, dass die Länder durch mehr Ausschreibung im Nahverkehr auch mit weniger Mitteln auskommen könnten. Wo Ausschreibung stattfand, wurde der Beweis erbracht. Obendrein klagt der Bund, die Regionalisierungsmittel würden zunehmend zweckentfremdet – verständlich aus der Sicht der Länderfinanzminister: Einerseits werden Züge „in der Walachei“ mit miserabler Auslastung bestellt, aber in den Schulen fehlt die Tafelkreide.

Werden die Regionalisierungsmittel gekürzt, werden die Länder hoffentlich mehr Strecken an private Betreiber vergeben. Kurzfristig werden sie wohl auch Züge streichen. Viele pauschale Verkehrsverträge erlauben dies.

Die Nahverkehrs–tochter der Bahn fährt mit pauschalen Verträgen und nicht zu Marktpreisen

Weniger Umsatz wegen Privatisierung und Abbestellung von Strecken bedeutet für die DB Regio Verlust. Mit Personalabbau kann sie darauf nicht reagieren – dank Beschäftigungsgarantien, ausgehandelt mit den Gewerkschaften als Preis für kurzfristige Lohnzurückhaltung. Auch der DB Netz droht Ungemach. Sie muss die Trassenpreise erhöhen – wahrscheinlich wieder zu Lasten der Länder.

Aufgrund dieser Problemlage hat der DB-Konzern gute Aussicht, zu kollabieren. Deshalb muss der Bund einen Weg finden, dass die Kürzung der Regionalisierungsmittel eine Sanierung des Schienenverkehrs der Bahn auslöst und keinen Crash. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Börsengang absurd. Soll ein Sanierungsfall „Schienenverkehr“ verkauft werden, der von einem grundgesetzwidrigen und gegen die Maastricht-Kriterien verstoßenden Haushalt abhängig ist – mit Mühe profitabel gerechnet durch zugekaufte Logistikunternehmen, die eher ein Hemmnis sind, den Güterzügen von Railion Kundenzuwachs zu bescheren?

Auch der geplante Deal von Hamburgs Bürgermeister von Beust und Mehdorn ist Unfug (unter anderem der Verkauf des dominierenden, neutral agierenden Hafenumschlagbetriebs an die DB, wenn die Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg verlegt wird). Dadurch wird die Bahn nicht ihren Schienenverkehr sanieren können. Und Hamburgs Absichten sind leichtsinnig: Soll der boomende Hamburger Hafen den Interessen und Managementqualitäten aus dem Bahntower ausgeliefert werden? Wer vermittelt Hartmut Mehdorn: Die Party der Expansion ist vorbei – Sanierung ist angesagt! GOTTFRIED ILGMANN