Liebhaber und andere Erinnerungsfallen

NEBENSPIELORTE Handwerk lernen: Anne Schneider inszeniert „Das darf man nicht sagen“ von Hélène Cixous in der Schaubühne, Cam Sultan Ungan „Kampf. Landschaft danach“ von Carles Batlle im Ballhaus Naunynstraße

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Ob im Prater der Volksbühne, im Studio der Schaubühne, am bat-Studiotheater oder im Ballhaus Naunynstraße: An Gelegenheiten, sich als Regisseur auszuprobieren, fehlt es nicht in Berlin. So kommt es, dass man in manchen Wochen drei, vier, fünf Premieren sehen könnte, von noch unbekannten Regisseuren und oft neuen Stücken. Jetzt war es wieder so weit.

Die Unterschiede zwischen den großen und den kleinen Häusern verwischen dabei wohltuend. Die Aufführungen sind kurz, verständlich, schlicht im Bühnenbild, mit wenigen Rollen. Nicht selten lässt der Respekt vor dem Inhalt und der Erfahrung der Schauspieler die Regie etwas schüchtern ausfallen. Das ist so im Prater der Volksbühne, wo der junge bulgarische Regisseur Ivan Panteleev mit Samuel Finzi an Texten von David Foster Wallace gearbeitet hat (siehe taz vom 7. Januar). Und das ist so in der Schaubühne, wo Anne Schneider die deutschsprachige Erstaufführung eines Stücks von Hélène Cixous eingerichtet hat.

Bekannt geworden ist Hélène Cixous in Deutschland als den Feminismus unterstützende Philosophin Ende der 70er-Jahre. Dass sie auch für das Theater schrieb, weiß man dagegen kaum. Ihr Stück „Das darf man nicht sagen“ basiert auf ihrer Familiengeschichte. Es ist der Dialog zweier Schwestern, beide weit über 80. Die Stadt, in der sie geboren wurden, Osnabrück, hat sie als letzte überlebende Juden der Vorkriegsgemeinde ausgemacht und eingeladen. Von dieser Reise zurückgekehrt, sieht man die beiden nun am Herd stehen, kochen und sich ein wenig streiten, wem welche Erinnerungen gehören. Die Konkurrenz zwischen den Schwestern ist das eine („Warum erzählst denn du von meinem Liebhaber?). Die Differenz zwischen dem, was ihnen wichtig ist, und dem, was sie als Zeitzeugen bezeugen sollen, dagegen das andere.

Sanft und mit einem verzeihenden Witz weist der Dialog auf die Zumutungen hin, die der Status als „Überlebender“ und „Zeitzeuge“ der eigenen Erinnerung antut – wie deutsch sie sich fühlten, wie sie auf polnische Juden herabblickten, wie sie Rassismus unter den Juden erfahren haben, gehört zum Beispiel zu den tabuisierten Dingen. Die beiläufige Form ihres Dialogs bei der Zubereitung von gehackter Leber nimmt dabei jedes Gewicht von den im historischen Diskurs durchaus gewichtigen Thesen.

Lore Stefanek und Juliane Gruner spielen die beiden Schwestern, und so gut ihnen auf der einen Seite das Beiläufige gelingt, das unaufgeregte und intime Agieren in einer Küche, in der ein echter Herd für leckere Düfte sorgt, so sehr lässt die Inszenierung von Anne Schneider auf der anderen Seite vermissen, die Spannung zwischen diesem Innenraum und jener von Erwartungen aufgeladenen Öffentlichkeit spüren zu lassen, auf die ihre Rede ja ständig Bezug nimmt.

Interessant bleibt die Geschichte trotzdem, ebenso wie das Zwei-Personen-Stück „Kampf. Landschaft danach“ des katalanischen Autors Carles Batlle, das das Ballhaus Naunynstraße zusammen mit dem Theater Baal Novo aus Strasbourg/Offenburg produziert hat. Seit Mitte der 90er-Jahre arbeitet Batlle in Barcelona an einem Theater, das sich als politisch versteht. Für Cem Sultan Ungan, Schauspieler im Deutschen Theater und im Film seit über 20 Jahren, ist es seine erste Regiearbeit.

„Kampf. Landschaft danach“ beginnt irgendwo im Wasser. Der Soldat, der dort das Ertrinken ebenso fürchtet wie den Durst, rekonstruiert nur mühsam aus seiner Erinnerung, wie er in diese Lage kam. Im Mittelpunkt steht die Begegnung mit einer Frau, die ebenfalls in Selbstgesprächen zu verteidigen sucht, was aus ihr wurde. Beide reden von der Sehnsucht nach Gefühlen, die sie hätten haben können, würde der Krieg, in dem sie sich treffen, nicht alles mit Angst belegen. Ihre Geschichte könnte ebenso im Spanischen Bürgerkrieg wie in irgendeinem ethnischen Konflikt heute spielen.

Das Gefühl, nie eine Wahl gehabt zu haben, bedrückt beide; den Versuch, dagegen ein Recht auf das eigene Glück und die eigene Lust zu verteidigen, macht allein die Frau. Die Enge, die ihr beider Leben angenommen hat, illustriert die Inszenierung gut; allein es fehlt an Momenten der Distanz und der Reflexion, die über die Gedanken der Protagonisten herausgehen. Alles ist zu fest gezurrt, wie das Mieder, das Melek Erenay einschnürt.

So mangelt es diesen Studioinszenierungen oft am Mitdenken eines Raums, der über den unmittelbaren des Textes hinausgeht und diesem mehr Entfaltung ermöglicht. Dieses Großschreiben von Autoren und Schauspielern und Kleinhalten der eigenen Perspektive hat zwar etwas sympathisch Bescheidenes. Aber etwas eigenständiger hätte man es im Theater dann doch gern.

■ „Kampf. Landschaft danach“, Ballhaus Naunynstraße, 9. + 10. Januar, 20 Uhr; „Das darf man nicht sagen“, Schaubühne Berlin, wieder am 26. Januar