Aufgeträumt wird später

GEDANKENMÜLL Internet, Uni, Oma: Am Tag häufen wir Müllberge im Kopf an. In der Nacht werden sie sortiert und verarbeitet

Als der Radiowecker anspringt, endet der Traum abrupt. „… I’m just a dreamer, I dream my life away, I’m just a dreamer, Who dreams of better days … Bayern München trifft heute Abend im Halbfinale auf Borussia Dortmund.“

Der Laptop liegt aufgeklappt von gestern Nacht neben dem Bett. Die Seite ist noch offen. Drei Nachrichten, Claudia schickt eine Freundschaftsanfrage, Marie gefallen „Die Grünen“, und Martha ist wieder Single. Wen interessiert der ganze Mist!

Die Milch ist schlecht, sie bildet im Kaffee schon Flocken. Das Zimmer, eine Müllhalde. Aber zwischen den Wäschebergen liegt noch ein sauberes T-Shirt. Draußen ist es viel zu kalt für März.

Als die Bahntüren sich öffnen, schlägt einem der Geruch von Fußnageldreck entgegen. Der Kleiderhaufen in der hintersten Reihe ist erst auf den zweiten Blick als Obdachloser zu erkennen.

Auf dem Weg zur Uni gibt’s wieder frische Luft. Paul steht rauchend auf dem Campus, er sieht heute scheiße aus. Die Vorlesung hat längst angefangen. Ein kurzes Hallo, und schon fängt er an zu reden. Wieder über seine Freundin. Sie will Freiheit, er will einen Hund.

Der Hörsaal ist voll wie immer, nur ganz oben auf der Treppe ist noch eine Stufe frei. Einführung in die Mikroökonomie. Nächste Woche ist Prüfung, wer die nicht packt, muss von vorne anfangen. Der Kopf fühlt sich an wie eine vollgestopfte Tonne. Wer soll das alles schaffen?

Auf dem Weg nach Hause ist es nur ein Pochen. Zu Kopfschmerzen wird es erst, als die Wohnungstür zufällt. Oma ruft an. Im August hat sie Geburtstag, drei lange Tage mit der Familie.

Todmüde ins Bett, aber der Finger drückt wie automatisch noch mal auf „aktualisieren“. Paul kann einem leid tun. Zum Einschlafen noch mal den Fernseher an, München liegt mit drei Toren zurück. Kurz bevor die Augen zufallen, steigt der Geruch von Penner in die Nase.

Paul und der Obdachlose tanzen um einen gigantischen Wäscheberg, während Claudia einem goldenen Pudel Zöpfe flicht. Das Telefon klingelt, der Professor will eine Skype-Konferenz über die Veränderung der Abseitsregelung.

Nachts wird aufgeträumt. Die Müllverbrennungsanlage arbeitet auf Hochtouren. Beim Träumen verarbeiten wir Erlebtes. Den nicht zu Ende gedachten Gedanken, das, was uns wirklich oder überhaupt nicht bewegt. Im Traum sind wir ehrlich zu uns. Wir erfüllen uns Wünsche, beschäftigen uns mit eigenen Sorgen und denen unserer Freunde. Lassen Ängste zu, lassen uns fallen, denn wir können nicht abstürzen. Wir brauchen diese Träume. Der Müllberg wächst sonst immer weiter. Wir müssen den Müll trennen, verarbeiten, verbrennen, kompostieren. Der Kopf wird geordnet. Aus dem Restmüll werden sortierte Säcke, die darauf warten, weiterverarbeitet zu werden.

Beim Aufwachen hält der Traum noch an. Paul und der Penner streiten sich um einen kleinen Hund. Langsam entgleitet das Bild und verschwindet ganz. Heute ist ein neuer Tag, mit neuem Müll für den Kopf.

PAULINA CLAUSER, FRIEDRICH GÖRING