Ratlos in die Zukunft

EUROKRISE Lange ging es in Zypern nur voran. Nun wappnen sich die Politiker für die neuen bösen Zeiten. Viele Inselbewohner jedoch begreifen nicht, was auf sie zukommt

AUS NIKOSIA KLAUS HILLENBRAND

Wenige Stunden nach der Entscheidung von Brüssel beginnt in den Straßen von Nikosia am Montag eine Großdemonstration. Tausende Schulkinder, feingemacht mit Schlips und Kragen, laufen hinter den Emblemen ihrer Lehranstalten und Sportvereinen her. Einige tragen grüne, uniformähnliche Kleidung, andere weiße Handschuhe. Das Publikum steht dicht gedrängt am Straßenrand. Dazu dröhnt Marschmusik vom Band.

Nein, dies ist kein Protest dagegen, dass Zyperns Banken von ihren internationalen Anlegern und ihrer einstigen Größe Abschied nehmen müssen. Hier geht es um den griechischen Unabhängigkeitstag, der auch im von Hellas weit entfernten Zypern mit Pauken und Tropeten begangen wird. Fast scheint es so, als reagierten die griechischen Zyprioten gleichmütig darauf, dass ihre Banken und die Finanzindustrie ihre besten Tage hinter sich haben.

Wären da nicht fünf einsame junge Frauen und Männer und ein gelbes Plakat. „Zypern, wache auf!“ haben sie darauf geschrieben. Sie protestieren gegen die Brüsseler Beschlüsse. „Wir sind weder links noch rechts“, sagt ein Mann mit Vollbart, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Wir können unseren Kindern nicht mehr in die Augen blicken“, erklärt eine rothaarige Frau. Sie meint die Zukunft ihres Landes. „Wir wollen Merkel nicht“, sagt Chris. Er ist erst 15 Jahre alt.

Tatsächlich steht Zyperns Finanzindustrie für mindestens 50 Prozent der Einnahmen der Insel. Stutzt man, wie in Brüssel geschehen, diese Industrie, dann ist das etwa so, als müssten Deutschlands Autobauer aus Gründen des Klimaschutzes allesamt ihre Betriebe schließen.

Das ist schlecht für die Arbeitsplätze, wie auch die Zuschauer des Umzugs zum griechischen Unabhängigkeitstag wissen. Viele von ihnen haben rote Augen vom Dauerfernsehen der vergangenen Nacht, als sämtliche Kanäle sich darin überboten, einheimische Experten zu befragen.

„Wir haben Angst, was nun passieren wird“, sagt Sotira Athimodorou, während ihr Mann Doros neben ihr steht. Der umklammert Schecks der Laiki-Bank über 25.000 Euro, die er für sein kleines Unternehmen einlösen will, wenn die Banken wieder öffnen.

Doch die Laiki-Bank wird aufgelöst und Doros weiß nicht, ob die Schecks noch mehr wert sind als ein paar Fetzen Papier. Wie soll er nächste Woche seine Angestellten bezahlen?

Am Rande der griechischen Jubelfeiern streitet Jiannis derweil mit den Umstehenden darüber, ob das Brüsseler Ergebnis nun noch schlimmer sei als der ursprüngliche Plan, alle Sparer zu belasten. Viele meinen: Ja.

„Es schmerzt“, sagt Jiannis, der mit seiner Frau und den zwei Kindern gekommen ist. Der Lkw-Fahrer ist schon seit zehn Monaten ohne Job. Das Arbeitslosengeld ist ausgelaufen. Noch verdient seine Frau Jioanna als Supermarktkassiererin Geld. „Die Arbeitslosigkeit wird noch mehr steigen“, sagt Jiannis, und schiebt den Kinderwagen mit dem Jüngsten weiter.

Parteien warnen vor Arbeitslosigkeit und Rezession

Es ist nicht so, als blickten die Zyprer stoisch auf die Ereignisse. Viele von ihnen scheinen aber noch nicht so richtig zu begreifen, was da auf sie zukommt.

Da ist die Politik schneller. Von den vier großen Parteien gibt es nicht eine, die auf Nachfrage der taz die Beschlüsse von Brüssel wirklich gutheißt. Nicholas Papadopoulos von der regierenden Demokratischen Partei spricht von einem „schweren Schlag für Zyperns Wirtschaft“, ja von einem „Desaster“. Damit unterscheidet er sich kaum von der oppositionellen sozialdemokratischen Edek, deren Sprecher eine stark wachsende Arbeitslosigkeit und eine tiefe Rezession befürchtet. „Aber wozu jetzt noch demonstrieren“, sagt Edek-Mann Dimitris Papadakis. „Wir müssen uns der Realität stellen.“

Protestieren will nur die postkommunistische Akel – aber wohlgeordnet und gut vorbereitet, erst am kommenden Mittwoch. Sprecher Gergios Loukaides nennt den Brüsseler Beschluss ein „Finanzverbrechen gegen Zypern“ und eine „kollektive Bestrafung des Volkes“.

Seine Partei, die bis vor vier Wochen noch an der Regierung war und eine Einigung mit Brüssel dabei nicht unbedingt beförderte, verlangt nun ein Referendum über das Abkommen. „Wenn sie uns dann aus dem Euro rauswerfen, dann werfen sie uns halt hinaus“, sagt Loukaides trotzig. Nur wenige Politiker versuchen, die Brüsseler Einigung als einen Erfolg darzustellen. „Wir haben eine ungeordnete Staatspleite abgewendet“, lobt Regierungssprecher Christos Stylianides. Exnotenbankchef Afxentis Afxentiou hofft, dass es in zwei bis drei Jahren wieder aufwärtsgehen wird. Doch zunächst einmal, darin sind sich die Politiker einig, drohen Massenarbeitslosigkeit und Rezession. Schon jetzt steht die Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent.

Thekla, 24 Jahre alt und arbeitslos, zählte in der Nacht zum Montag zu den wenigen hundert Menschen, die einem Aufruf auf Facebook zum Protest vor dem Präsidentenpalast gefolgt sind. Die schwarzhaarige Frau hat zwar einen Uniabschluss – Master in Management. Doch der nutzt ihr nichts. „Sie nehmen uns unser ganzes Geld“, sagt sie.

Nachts haben die Demonstranten den Kreisel unterhalb des Palastes besetzt, während sich oben im aus Kolonialzeiten stammenden Sitz des Regierungschefs die Parteivorsitzenden versammelten. Die starrten ebenso gebannt auf die Ereignisse in Brüssel wie das ganze Volk.

Einer der Demonstranten unten heißt Pepe. Der baumlange Lehrer ist vor der Arbeitslosigkeit in seiner Heimat nach Zypern geflüchtet. „Gäbe es so etwas wie hier in Madrid, dann wären Hunderttausende auf der Straße“, sagt er. Er ist aber auf Zypern, wo die Menschen es nicht gewohnt sind, auf eigene Faust zu demonstrieren. Schließlich ging es all die Zeit von Jahr zu Jahr besser.

Der große Pepe trägt ein Plakat mit den Umrissen Zyperns. Darunter hat er auf Griechisch geschrieben: „Zu verkaufen.“ Er fürchtet, schon bald weiterwandern zu müssen, im krisengeschüttelten Südeuropa.