In Down Under herrscht gespannte Ruhe

Australien fürchtet wieder rassistische Krawalle. Sie zerstören den Mythos des erfolgreichen Einwanderungslandes, sollten aber nicht überraschen. Denn der Rassismus hat Tradition und wird von der konservativen Regierung instrumentalisiert

AUS SYDNEY URS WÄLTERLIN

Australiens Polizei hat gestern davor gewarnt, am Wochenende die Strände von Sydney und seinen Nachbarstädten im Norden und Süden zu besuchen. Es gebe klare Hinweise, dass es zu einer Wiederholung der schweren Auseinandersetzungen vom letzten Sonntag kommen könnte. Die Kämpfe am Strand von Cronulla zwischen tausenden Bewohnern anglokeltischen Ursprungs und randalierenden libanesischstämmigen Australiern hatten bis Mittwoch angehalten. Beamte kontrollieren jetzt jeden, der nach Cronulla will. Auch andere Stadtteile bewacht die Polizei. Mit neuen Vollmachten ausgestattet, wollen die Beamten eine Wiederholung der rassistischen Krawalle verhindern. Sydney, nein: Australien ist im Ausnahmezustand.

In Cronulla brach ein Mythos zusammen. Über Jahrzehnte hatte Australien der Welt wie sich selbst ein Bild multikultureller Harmonie vorgegaukelt. Bis zu einem gewissen Grad trifft dieses auch zu. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das Land Millionen Menschen aus aller Welt aufgenommen. Verschiedenste Kulturen lebten und leben in bemerkenswerter Harmonie zusammen. Seien es Italiener, Vietnamesen oder Vertreter einer Vielzahl anderer Kulturen: Nach ein paar Jahren integrierten sie sich in ihre neue Heimat. Die klassischen „Aussies“ – Nachkommen weißer Sträflinge und Siedler anglokeltischer Abstammung, welche die Aborigines vor über 200 Jahren von ihrem Land vertrieben hatten – dominieren aber noch immer Politik, Wirtschaft und Kultur. Dass tausende Vertreter dieser privilegierten Schicht jetzt aufbegehren, rassistische Parolen gegen vermeintliche „Eindringlinge“ skandieren und muslimische Frauen blutig schlagen, erschreckt zwar, sollte aber nicht erstaunen.

Denn Ignoranz und Rassismus haben in weiten Teilen der australischen Gesellschaft seit dem ersten Kontakt mit den Aborigines Tradition. Seit zwei Jahrhunderten gibt es unter der Oberfläche der Gesellschaft eine Abneigung gegen alles „andere“ . Das Feindbild und die Schimpfnamen ändern sich mit jeder Einwanderungswelle. Italiener waren „wogs“, Vietnamesen „chinks“ und Libanesen sind „lebos“. Doch seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts blieben negative Gefühle meist im Untergrund. Damals war die offen rassistische Politik des „weißen Australiens“ beendet worden, nach der nur europäischstämmige Einwanderer ins Land gelassen wurden. Seitdem wurde Multikulturalität als einzige Möglichkeit für das Überleben einer Gesellschaft auf einem kaum besiedelten Kontinent zelebriert, unabhängig davon, ob die Regierung von Labour oder Konservativen gestellt wurde. Millionen „Aussies“ fanden Geschmack daran, Pizza zu essen und vietnamesische Nudelsuppe zu schlürfen. Doch ein Nachgeschmack blieb.

Dann kam John Howard. Seit zehn Jahren nutzt der erzkonservative Premierminister die verborgenen Ressentiments vieler Landsleute, die sich zeitweise auch in den Achtungserfolgen der rechtspopulistischen Partei One Nation ausdrückten, um daraus politisch Kapital zu schlagen. Nie direkt, immer versteckt warnt Howard vor vermeintlichen Gefahren durch das „andere“. Muslimische Asylsuchende rückt er in die Nähe von Terroristen und sperrt sie über Jahre in Internierungslager, junge Australier nahöstlichen Ursprungs werden als potenzielle Rekruten al-Qaidas gesehen. Islamische Führer beklagen seit Jahren die Ausgrenzung ihrer Gemeinden in einer staatlich geschürten Terrorhysterie. Derweil pflegt das offizielle Australien einen selbstgefälligen Hurrapatriotismus.

Angeheizt wird die Stimmung von einflussreichen Radiomoderatoren, die aus ihrer rechtsextremen Ideologie keinen Hehl machen und sie in einer Sprache ausdrücken, die zeitweise an Nazipropaganda erinnert. Die „Politik der Spaltung“, wie sie Kritiker nennen, war für Howard ein Segen. Während weiße „Aussies“ sich gestärkt fühlen im Glauben, die wahren Träger der Fahne mit dem „Kreuz des Südens“ zu sein, wurde Howard immer wieder gewählt. Dank ihm können Ressentiments unverhohlen ausgesprochen werden. Rassismus ist wieder gesellschaftsfähig.