Der rasende Rekordmeister

MEISTER Elf Siege hintereinander, die wenigsten Gegentore, bestes Torverhältnis: Der FC Bayern bricht alle Rekorde. Wie schaffen die das?

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Mit Meisterschalen aus Plastik geben sich Bayern-Profis eigentlich nicht ab. Wer schon 22-mal Deutscher Meister geworden ist, nimmt Titel Nr. 23 doch mit einem müden Lächeln entgegen, oder? Weit gefehlt. Wer gesehen hat, wie Innenverteidiger Dante nach dem 1:0 bei Eintracht Frankfurt am Samstag sein Trikot gegen die Plastik-Meisterschale eines Fans tauschte und damit wild jubelnd über den Rasen rannte, als habe er gerade im Lotto gewonnen, den überkam die Rührung. Später posteten die Nationalspieler Bastian Schweinsteiger, Anatolij Timoschtschuk und Javi Martinez via Twitter und Facebook Kabinenfotos mit nackten Oberkörpern rings um eine Meisterschale aus Plastik. Das sollen also diese erfolgsverwöhnten Bayern sein, diese ewigen Alles-Gewinner? Interessant.

Noch nie in 50 Jahren Bundesliga stand der Meister schon nach dem 28. Spieltag fest. Noch nie gewann eine Mannschaft innerhalb einer Spielzeit elfmal nacheinander. Außerdem in Reichweite: ein neuer Punkterekord, die meisten Siege und die wenigsten Niederlagen, die wenigsten Gegentore, das beste Torverhältnis. Der FC Bayern hat rekordverdächtig viele Rekorde gebrochen.

Fragt sich nur: Wie haben die Bayern das geschafft? Was verschafft ihnen in der Tabelle 20 Punkte Vorsprung vor der Konkurrenz aus Dortmund? Das ist immerhin auch ein Verein, der sich wahrscheinlich für das Champions-League-Halbfinale qualifizieren wird.

Wie so viele Fragen kann Bayerns Sportvorstand Matthias Sammer auch diese beantworten: „Die Ursache liegt im letzten Sommer. Wir waren in der vergangenen Saison dreimal Zweiter, die Nationalspieler schieden bei der Europameisterschaft im Halbfinale aus. Das war psychologisch keine einfache Situation. Aber der Verein hat darauf gut reagiert und genau die richtigen Spieler verpflichtet, die auch charakterlich passten.“

Sammer hat recht. Aber der Sommer 2012 kulminierte aus Bayern-Sicht natürlich in der Nacht des 19. Mai: Champions-League-Endspiel gegen Chelsea im Münchner Olympiastadion. Das „Finale dahoam“. Es kam zum Elfmeterschießen. Bastian Schweinsteiger schoss an den Pfosten. Chelsea gewann. Und die Bayern lagen im Wortsinne am Boden. Alles, was in dieser Saison bei Bayern passiert, resultiert aus diesem Abend mit dem so grausamen Ende.

Da sind zunächst einmal die neuen Spieler, von denen Sammer sprach. Natürlich hatte und hat der FC Bayern immer einen beneidenswerten Luxuskader – im Vergleich zur deutschen Konkurrenz. Doch zur europäischen Spitze fehlte in der letzten Saison noch einiges – vor allem auf der Ersatzbank. In dieser Saison ist das anders: Bis auf Kapitän Philipp Lahm und Keeper Manuel Neuer kann sich kein Gomez, kein Robben, kein Boateng seines Stammplatzes sicher sein – wegen der Neuverpflichtungen Shaqiri, Dante, Mandzukic, Pizarro und als Königstransfer der 40 Millionen Euro teure Javi Martinez. Wohl noch nie hatte ein Bayern-Kader so viel Substanz.

Was zum nächsten Faktor überleitet: dem Trainer, dem 68-jährigen Jupp Heynckes. Lassen wir das mal wieder den Herrn Sammer erklären: „Jupp Heynckes trägt den Hauptanteil an diesem Erfolg. Er hat klare Richtlinien vorgegeben, und er hat es geschafft, immer die richtige Ansprache zu finden.“ Wohl wahr: Wer im Dutzend hochbegabte Diven, Hitzköpfe, Phlegmatiker und Kampfschweine zur Auswahl hat, aber trotzdem nur elf von ihnen ins Spiel schicken darf, muss ein verdammt guter Diplomat sein. Den einen streicheln, den nächsten pieksen, den übernächsten vertrösten, und das die ganze Saison über.

Hinzu kommt die in München zuweilen recht aufgeregte Presselandschaft, ein verwöhntes Publikum und ein Vereinspräsidium mit mehreren Spielarten der Spezies Alphatier. An dieser Melange sind von Otto Rehhagel über Felix Magath und Jürgen Klinsmann bis Louis van Gaal viele namhafte Trainer gescheitert. Dass Heynckes all das unfallfrei ausbalancieren konnte, verdient höchste Anerkennung.

Umso schlimmer für ihn, dass Pep Guardiola gerade auf dem Markt war. Der Mann, der mit dem FC Barcelona gleich in seiner ersten Trainersaison sechs Titel holte. Mehr geht nicht.

Zwar war spekuliert worden, ob Heynckes seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht doch noch einmal verlängern wollen würde. Aber da der Überflieger Guardiola zu Bayern wollte, musste man das Heynckes in irgendeiner Form beibringen – was grandios misslang.

Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge verkündete im Winter im Alleingang, Heynckes werde seine Karriere im Sommer beenden. Heynckes meinte später, er wolle das schon selbst bestimmen. Ein peinlicher Fauxpas.

Aber bis zum nicht ganz unproblematischen Heynckes-Abschied ist noch ein bisschen Zeit. Zwei Titel warten noch: der DFB-Pokal. Und natürlich die Champions-League. Das ist der Titel, der wirklich zählt bei den Bayern. Der Trainer sagt: „Der Mannschaft traue ich alles zu.“ Und Uli Hoeneß meint: „Jetzt wollen wir aus einer Supersaison noch eine Supersupersaison machen.“