Zu viel Krise

BUNDESLIGA Hannover 96 hat das Ziel Europa aufgegeben. Auf beinahe allen Ebenen gibt es Zoff

„Priorität besitzt, solch einen Spieler zu halten“

96-BOSS KIND ÜBER MAME DIOUF

HANNOVER taz | Eigentlich hat Martin Kind ja viel zu viel zu tun. Wer ein global agierendes Hörgeräte-Unternehmen leitet, hetzt gemeinhin von Termin zu Termin. Längst überlegt sich der 68-Jährige genau, ob er denn auch wirklich jede Auswärtsreise mit Hannover 96 noch antreten soll. Doch wenn sein Herzensklub am Freitagabend beim SC Freiburg antritt, möchte Kind anwesend sein. Viel Hoffnung nimmt der Klubchef allerdings nicht mit. „Wenn es nicht eine Leistungsexplosion gibt, wird es dort sehr, sehr schwer.“

Der badische Klub schickt sich gerade an, das zu bewerkstelligen, was zwei Spielzeiten hintereinander Hannover gelang: aus minimierten Möglichkeiten Maximales zu schaffen – und die Saison auf einem Europa-League-Platz zu beenden. „Rechnerisch ist das möglich, realistisch ist das nicht mehr“, sagt Kind. Die öde Nullnummer am Sonntag gegen den VfB Stuttgart hat allenthalben Ernüchterung ausgelöst.

Deutlich wie nie traten tiefe Risse zutage. Von „unruhigen Zeiten“ spricht Kind, und viel führt auf das Dauermissverständnis zwischen Mirko Slomka und Jörg Schmadtke zurück. „Das persönliche Verhältnis der beiden ist nicht besser geworden“, räumt Kind ein. Zwischen Trainer und Manager mit den „sehr unterschiedlichen Charakteren“ (Kind) scheint so viel zerrüttet, dass Schmadtke angeblich seinen Ausstieg erwogen hat, was dieser jedoch flugs dementierte. Kind würde seinen Geschäftsführer auch nicht ziehen lassen: „So einfach geht das nicht.“

Entscheidungen auf sportlicher Leitungsebene fallen da schwer, wie das Ringen um Torjäger Mame Diouf zeigt: Am Montag saß dessen Berater Jim Solbakken mit Schmadtke zusammen. Die Gespräche sind ergebnisoffen. Der Manager versteht all die Aufregung nicht. Der Spieler beteuert, er fühle sich im Verein wohl. Aber wenn ein Vertrag 2014 endet, ist eben nur in diesem Sommer eine Ablöse zu erzielen – und Borussia Dortmund hat den Senegalesen selbst als Nachfolger für Robert Lewandowski ins Spiel gebracht.

„Priorität besitzt, solch einen Spieler zu halten“, insistiert Kind, „dafür werden wir uns auch wirtschaftlich strecken.“ Ohne den Europapokal ist für die nächste Saison indes nur ein Etat von 66 Millionen Euro in den Lizenzierungsunterlagen hinterlegt. Die von Kind gerne angestrebte Größenordnung eines Gesamtumsatzes von bis zu 90 Millionen sei nur über den internationalen Wettbewerb zu erreichen. „Außerdem geht es um Nachhaltigkeit“, ergänzt Schmadtke, „wenn wir ein drittes Mal europäisch spielen, wird das auch öffentlich anerkannt.“

Dass der 49-Jährige in der Landeshauptstadt Akzeptanz vermisst, wirkt für Beobachter offenkundig. Am Sonntagabend verließ Schmadtke fluchtartig den Presseraum, nachdem Slomka versichert hatte, er arbeite mit Schmadtke „regelmäßig, intensiv und zielstrebig zusammen“. Der absonderliche Aufbruch passte zum Schauspiel auf den Tribünen. Immer heftiger attackieren die Ultras („Martin Kind muss weg!“) den 96-Boss: „Martin Kind muss weg!“ Der hält die Tiraden aus: „Das Niveau ist gewöhnungsbedürftig, aber ich kann damit leben. Wir mussten nun einmal gegen diese 200 Leuten ein Zeichen setzen.“ Kind meint die auf die Fans umgelegten Strafen wegen abgebrannter Pyrotechnik. Dass er sich mit den unpopulären Maßnahmen in der Fankurve unbeliebt machte, nahm Kind in Kauf. Doch wirkt es verstörend, wenn der eine Teil der Zuschauer ihn attackiert, der Rest „die Randgruppe“ (Kind) auspfeift. Irgendwie hat diesen Klub gerade zu viel Krisenstimmung erfasst. FRANK HELLMANN