Mal sehen, wer da reingeht!

OUTING Bei den Olympischen Winterspielen in Kanada gibt es neben den Häusern der Nationen ein Domizil für schwul-lesbische Sportler: das Pride House

Die Fotoserie: „Fearless“ heißt die Arbeit von Fotograf Jeff Sheng, in der er US-amerikanische und kanadische Nachwuchsathleten zeigt, die sich offen als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender outen. Ein mutiger Schritt, einer, vor dem viele professionelle Hochleistungssportler bis heute zurückschrecken. Insgesamt fotografierte Sheng über hundert junge Sportler und Sportlerinnen.

■ Die Idee: „Mein Ziel war es, Porträts zu machen, die ihre Athletik und ihren Mut zeigen. Ich wollte die Art und Weise herausfordern, wie Sportler gewöhnlich fotografiert werden, einen ehrlichen und authentischeren Blick auf diese jungen Leute entwickeln“, sagt Fotograf Sheng.

■ Die Ausstellung: Shengs Fotoserie wurde bereits in mehreren US-Universitäten gezeigt, während der Olympischen Winterspiele wird sie im Pride House in Vancouver zu sehen sein. Im Internet ist sie unter fearlesscampustour.org zu besichtigen – dort gibt es weitere Informationen zum Projekt.

VON THOMAS WINKLER

Nein, einen Darkroom wird es nicht geben. Aber doch immerhin, Dean Nelson verspricht eine Farbgestaltung, die man gemeinhin mit Schwulen-Clubs assoziiert. Außerdem: Eine über zwei Kilometer lange Regenbogenfahne und eine Ausstellung mit Fotos offen homosexueller Sportler und Sportlerinnen. Vor allem aber 100 Quadratmeter Platz für schwule und lesbische Olympioniken, um ihre Erfolge feiern oder in entspannter Atmosphäre die olympischen Wettkämpfe verfolgen zu können.

Innovation fernab der Piste

Wenn am 12. Februar die 21. Olympischen Winterspiele in Vancouver eröffnet werden, ist Dean Nelson dort für eine der wichtigsten Innovationen verantwortlich. Es ist keine Neuerung im offiziellen Sportprogramm, die er organisiert. Nicht etwa die Aufstockung des Wettbewerbskatalogs um Skikross. Nelson verändert die Olympischen Spiele abseits der Pisten und Loipen, Eiskanäle und -bahnen: Im Skiort Whistler, wo die alpinen und nordischen Skiläufer konkurrieren, wird erstmals in der olympischen Geschichte ein Pride House das Après-Ski-Angebot bereichern. Ein Ort als selbstbewusster Ausdruck von schwul-lesbischem Leben – mitten in einer sehr heterosexuellen Leistungssportbranche.

Die Häuser, in denen die Sportler nach dem Wettkampf ihre Triumphe begießen und ihre Niederlagen ertränken, sind bisher fest in nationaler Hand. Die Olympischen Komitees fast aller größeren Nationen mieten für die Dauer der Spiele Liegenschaften, in denen dieses Rahmenprogramm stattfindet. Aus dem Deutschen Haus sendet das Fernsehen gern Siegerinterviews, das Holländische Haus, traditionell von einem weltweit agierenden Bierbrauer gesponsert, ist für seine Partys bekannt. Jetzt gesellt sich zu den nationalen Flaggen die Regenbogenfahne. Pride-House-Organisator Dean Nelson hofft, einen ähnlichen Ruf zu erfeiern wie die Niederländer.

Er arbeitet für die Event-Agentur GayWhistler, die vor allem mit dem alljährlichen Festival „Winter Pride“ das Skigebiet in British Columbia als Anlaufpunkt für homosexuelle Schneefans in Nordamerika etabliert hat. Natürlich wünscht sich Nelson, dass sich vor dem Club allabendlich lange Schlangen bilden. Er ist in einem großen Hotel in Whistler eingerichtet und bis zum Ende der Paralympics im März geöffnet. „Aber ob nur ein einziger Gast kommt oder Zehntausende, wir schreiben hier Geschichte“, sagt Nelson, „das Pride House ist jetzt schon ein Erfolg, weil wir eine Diskussion in Gang gesetzt haben.“

Der Diskussion verweigert sich das Internationale Olympische Komitee vornehm. Das IOC ignoriert das Pride House so gut es geht. Dafür aber stand das lokale Organisationskomitee Vanoc, zuständig für die Durchführung der Spiele in Vancouver und Whistler, Nelson und seinen Kollegen dabei zur Seite, nicht mit den komplizierten olympischen Copyright-Bedingungen und Sponsorenregelungen in Konflikt zu geraten.

Kritik, wenn auch selten, kam von anderer Seite. Mancher schwule Aktivist meint, ein olympisches Pride House würde schwule Sportler in ein selbst gewähltes Ghetto drängen. Nelson kann den Einwand verstehen. Doch angesichts der Aufmerksamkeit, die sein Projekt generiert hat, fühlt er sich bestätigt: „Die Absicht des Pride House ist vor allem, Vielfalt zu feiern. Wir schließen niemanden aus.“ Nicht nur insgeheim hoffen die Organisatoren sogar darauf, dass der eine oder die andere Spitzenkraft die Bühne Pride House nutzen möge, um sich zu outen – am besten, nachdem er oder sie eine Goldmedaille gewonnen hat.

Angekündigt haben sich bislang nur homosexuelle Sportler, die ihre Laufbahn bereits beendet haben. Allen voran Mark Tewsbury, Schwimm-Olympiasieger und eine Ikone der kanadischen Schwulen.

Aber selbst Tewksbury, der nach seinem Outing einen lukrativen Werbevertrag verlor, erwartet nicht, dass das Pride House zur Bekenntnisbühne wird. Hätte es solch eine Einrichtung bereits 1992 in Barcelona gegeben, als Tewksbury über 100 Meter Rücken Gold gewann, „wäre ich wohl einer von denen gewesen, die außen standen, um zu sehen, wer da so reingeht“, gibt er zu. So viel hat sich seitdem nicht verändert. Noch immer sind der Sport und sein Umfeld tendenziell homophob, haben homosexuelle Sportler berechtigte Angst vor Stigmatisierung durch Kollegen und Funktionäre.

„Im Sport wird Homosexualität immer noch mit Schwäche gleichgesetzt“

DEAN NELSON, PRIDE-HOUSE-ERFINDER

Doch Nelson glaubt, dass sich die Stimmung auch im Spitzensport langsam wandelt. Indiz ist ihm das Beispiel Gareth Thomas. Der walisische Rugby-Profi, Rekordnationalspieler seines Landes, erfuhr nach seinem Outing im vergangenen Dezember – auch in diesem Fall allerdings erst zum Karriereende – eine Welle der Solidarität. „Im Sport wird Homosexualität immer noch mit Schwäche gleichgesetzt“, sagt Nelson, „aber wenn einer der härtesten Rugby-Stars sich outet, erschüttert das solche Vorurteile.“

Die Einrichtung des Pride House hat für Nelson symbolischen Charakter: „Wir haben unser Ziel erreicht, wenn wir nur einem einzigen Sportler signalisieren, dass er nicht allein ist – oder einen einzigen Teenager vor dem Selbstmord retten.“ Nelson hofft, dass diese Signale vor allem auf Aktive aus den mehr als 65 Ländern weltweit wirken, in denen Homosexualität immer noch unter Strafe steht.

In Sotschi noch wichtiger

Der Organisator glaubt, sein Club könne „ein Katalysator werden, der eine Veränderung auslöst“. Ob sich die Hoffnung erfüllt, wird man spätestens in vier Jahren sehen. Dann finden die Winterspiele im russischen Sotschi statt. Dort ist Homosexualität zwar nicht mehr strafbar, aber der letzte Versuch, in Moskau einen Gay Pride zu veranstalten, wurde niedergeknüppelt. „Wir alle wissen, dass Schwulsein in Russland lange nicht so unproblematisch ist wie in Kanada“, sagt Nelson, „also wird ein Pride House in Sotschi 2014 noch wichtiger sein.“