Soll die „Pille danach“ rezeptfrei sein?
Ja

NOTFALL Eine bange Frage: schwanger? Das Medikament dagegen erhält man in 90 Staaten weltweit ohne Arztbesuch. Die Bundesregierung aber hat die Freigabe gerade abgelehnt

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Volkmar Sigusch, 72, Professor für Sexualwissenschaft aus Frankfurt

Patienten müssen über das, was allgemein verharmlosend „Nebenwirkungen“ genannt wird, vor einer Behandlung von Ärzten aufgeklärt werden. Bei der Pille danach bin ich für eine Ausnahme. Es ist eine existenzielle Entscheidung, die nur die betroffene Frau fällen kann. Ihr sollte dieses Medikament rezeptfrei zugänglich sein, mit einem aufklärenden Gespräch in der Apotheke. Die gegenwärtige Tendenz in Europa und den USA, die sexuellen Selbstbestimmungsrechte von Frauen stärker einzuschränken, ist inakzeptabel.

Karl Lauterbach, 50, ist gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Die Möglichkeit einer rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) wird seit langem diskutiert. Es ist an der Zeit, dass auch hier eine Befreiung aus der Verschreibungspflicht erfolgt. Mit der „Pille danach“ auf LNG-Basis kann eine ungewollte Schwangerschaft nach einem Anwendungsfehler einer Verhütungsmethode oder nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit großer Sicherheit vermieden werden. Auch ist es kein Präparat, das einen Schwangerschaftsabbruch zur Folge hat. Es verhindert ungewollte Schwangerschaften und unnötige Schwangerschaftsabbrüche ohne inakzeptable Nebenwirkungen.

Claude Billmann, 58, hat eine Apotheke in Wissembourg im Elsass, Frankreich

Ja, das wäre besser. Problematisch ist aber, dass die Kundinnen immer jünger werden, zwischen 15, 16 und 25 Jahren. Wir erklären jeder Kundin, dass man verhüten muss, mit der Pille oder Kondomen. Es gilt zu verhindern, dass eine Frau alle zwei Wochen in die Apotheke geht, um sich die „Pille danach“ zu holen. Oft habe ich deutsche Kunden. Einige rufen vorher an und fragen, ob es möglich ist, die Pille ausgehändigt zu bekommen. Natürlich bekommt man sie in meiner Apotheke, um eine unerwünschte Schwangerschaft zu vermeiden. Ich wäre mit einer Liberalisierung in Deutschland sehr einverstanden. Im Jahr 2013 noch einen Arzt im Bereitschaftsdienst aufzusuchen oder den Sonntag im Krankenhaus verbringen zu müssen, das ist unangenehm und gleicht einem Hindernislauf.

Daphne Hahn, 53, Vorsitzende von pro familia, lehrt an der Hochschule Fulda

Es gibt keine medizinischen Gründe für eine Rezeptpflicht. Diese führt zur Suche nach Notdiensten, langen Fahrten, peinlichen Befragungen, gegebenenfalls mit Zurechtweisung und im schlimmsten Fall zur Abweisung in den Klinikambulanzen. In 90 Ländern erhält man die „Pille danach“ ohne Rezept. Sie ist in den ersten 24 Stunden am wirksamsten. Bloß in Deutschland sollen Frauen nicht eigenverantwortlich über die Notfallverhütung entscheiden dürfen?

Sarah Morr, 23, ist taz-Leserin und beantwortete unsere Streitfrage per E-Mail

Vor allem für junge Paare, die in ländlicher Umgebung leben, ist es schwierig, ärztliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um ein Rezept zu bekommen – gerade am Wochenende, wenn viele Verhütungsunfälle passieren. Wegen psychischer Folgen von Abtreibungen erscheint es verantwortungslos, die Abgabe der „Pille danach“ nicht so einfach wie möglich zu gestalten. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass trotzdem verantwortungsvoll verhütet wird.

Nein

Maria Flachsbarth, 49, CDU, ist Präsidentin des Katholischen Frauenbundes

Die „Pille danach“ ist ein Medikament, das in den Hormonhaushalt der Frau eingreift. Eine gute ärztliche Beratung ist daher angemessen und dient der Patientinnensicherheit. Wir sprechen ja von einem „Notfallkontrazeptivum“, das keine alternative Verhütungsmethode ist, aber in Notfallsituationen, z. B. nach einer Vergewaltigung, unverzichtbar bleibt. Es darf nicht wie eine Tablette gegen alltägliche Wehwehchen über den Ladentisch der Apotheke gehen. Aus Gründen des Schutzes des ungeborenen Lebens, aber auch aus Gründen des Respekts vor der Würde der Frau plädiere ich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität. Aufklärung und Verhütung sind dabei zentrale Bausteine. Die rezeptfreie Vergabe der Pille danach dient diesem Ziel gerade nicht.

Christian Albring, ist Vorsitzender des Berufsverbands deutscher Frauenärzte

Als Präsident des Berufsverbandes deutscher Frauenärzte möchte ich betonen, dass Ulipristalacetat das Medikament mit der deutlich höheren Sicherheit in der Notfallkontrazeption ist. Während LNG keine Wirkung mehr hat, wenn es weniger als 48 Stunden vor dem Eisprung eingenommen wird, kann Ulipristal den Eisprung noch bei einer Einnahme bis wenige Stunden davor verhindern. Es ist weltweit rezeptpflichtig. Eine Rezeptfreiheit für LNG hätte deshalb für die betroffenen Frauen keine höhere Sicherheit gebracht. Rezeptfreiheit bedeutet übrigens, dass ein Arzneimittel nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt wird. Die Pille und die „Pille danach“ sind bis 20 Jahre eine Leistung der Krankenkassen.

Oliver Gothe, 43, ist Designer und Hersteller von Kondomen aus fair gehandeltem Latex

Die rezeptfreie Verteilung der „Pille danach“ ist fragwürdig, da ich bezweifle, dass in Apotheken oder Drogerien gute Beratung stattfindet. Das muss durch einen Arzt sichergestellt sein. Möglicherweise sind Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen. Außerdem könnte die freie Verfügbarkeit die Hemmschwelle senken, sich überhaupt zu schützen. Ich argumentiere auch ein wenig als Familienvater einer 13-jährigen Tochter. Einen nicht bewussten Umgang mit derartigen Medikamenten sollte der Gesetzgeber nicht unterstützen.

Jens Spahn, 33, CDU, sagte zur Debatte, die „Pille danach“ sei kein Smartie

Entsprechende Fachkenntnis ist von Bedeutung. Die Anhörung im Gesundheitsausschuss hat deutlich gemacht, dass die Einnahme der „Pille danach“ mit hormonellen Belastungen verbunden ist, in manchen Fällen besteht ein Thromboserisiko. Zudem ist die Einnahme je nach Zeitpunkt des Eisprungs nicht immer notwendig. Es ist richtig, dass der Einnahme eine ärztliche Beratung vorausgeht, wir haben eine gute und flächendeckende ärztliche Versorgung, so dass eine kompetente Beratung schnell gewährleistet ist.

Karin Lana ist taz-Leserin und nahm zur Streitfrage auf Facebook Stellung

Prinzipiell finde ich die derzeitige Regelung in Ordnung. Es handelt sich dabei nun mal um eine kleine „Bombe“, die auch diverse Nebenwirkungen haben kann. Deshalb sollte man da schon vernünftig beraten werden. Viel besser wäre es, wenn Ärzte und Apotheker einen nicht anschauten, als wäre man ein Einzel- oder Sündenfall.