SOS per Facebook

CHILE Ein Gespräch mit dem Wissenschaftler Andreas Hetzer über Hilfe im Internet nach den Erdbeben

taz: Nach dem Erdbeben in Chile war die Infrastruktur nahezu zerstört. Die Menschen haben trotzdem über sogenannte Social Network Services (SNS), wie Facebook oder Twitter, kommuniziert. Was leisten die? Andreas Hetzer: Nach einem Erdbeben will jeder seine Bekannten und Freunde anrufen. In Chile war das Handynetz anfangs aber total überlastet. Also haben viele in Facebook Nachrichten gepostet, „Leute, mir geht’s gut, mein Haus ist zerstört, aber ich habe überlebt.“ Die Zeitung El Mercurio hat zudem eine Plattform zur Verfügung gestellt, um Vermisste zu suchen. Leute auf der ganzen Welt, in Spanien, Norwegen oder Kanada, haben diese Nachrichten gelesen und versucht, die Gesuchten ausfindig zu machen. So funktionieren Netzwerke klassischerweise.Wieso ist das Internet bei Katastrophen als Kommunikationsmittel so geeignet? Ursprünglich wurde das Internet unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt. Im Fall eines Angriffs sollte man innerhalb des Militärs weiter kommunizieren können. Das lässt sich auf heutige Katastrophenszenarien übertragen, weil das Netz durch die dezentralen Knotenpunkte auch bei Zusammenbrüchen bestehen bleibt. Fällt ein Server aus, springt ein anderer ein. Dazu kommt der mobile Internetzugang über PDAs, tragbahre Computer, die von der Infrastruktur vor Ort unabhängig sind. Wer hat Zugang zum Netz in Chile? Chile ist einer der modernsten Staaten in der Region und hat eine unheimlich gute Breitbandabdeckung. In Santiago de Chile liegt die bei 80 Prozent, das ist absolute Spitze in Lateinamerika. In Deutschland haben wir eine Breitbandabdeckung von 60 bis 70 Prozent. Der Zugang zum Internet hängt aber immer vom Einkommen ab. In Chile, Argentinien oder Uruguay verdienen die Menschen mehr. Deshalb funktioniert die Hilfe in Katastrophensituationen hier auch besser als beispielsweise in Haiti, einem der ärmsten Länder des Kontinents. In Lateinamerika werden traditionell vor allem die Radios stark genutzt. Was sind die Vorteile gegenüber dem Internet? Der Zugang zu einem Empfänger besteht eher. Sie können batteriebetrieben sein und sind somit nicht auf Stromversorgung angewiesen. Dazu kommt die kollektive Nutzung: Pro Gerät können gleich mehrere Leute hören. Im Notfall erhält man hier Anweisungen, wie man sich zu verhalten hat, ob es Nachbeben geben wird usw. So kann Panik vermieden werden. Aber ich kann mich im Radio kaum selbst einbringen. Ja, aber im Web ist die Informationsflut kaum überschaubar. Das gilt vor allem für Twitter. Hilfe, Infos oder die Suche nach Freiwilligen kann schnell organisiert werden und Panik vermeiden. Es kann aber auch genau umgekehrt laufen. Wenn jemand schreibt: „Es gibt wahrscheinlich sofort ein Nachbeben“, kann das in kürzester Zeit zu Massenpanik führen. Das ist sehr ambivalent. INTERVIEW: SUNNY RIEDEL Mehr auf www.taz.de Andreas Hetzer, 30, promoviert über die Rolle von Medien in Bolivien. Zur Zeit des Erdbebens war er in La Paz, Bolivien.