Faust II

Tränen am Tisch: Bei der Mannschafts-WM im Tischtennis scheiden die deutschen Spielerinnen vorzeitig aus. Im Mittelpunkt: Eine rote Karte gegen Nicole Struse wegen ungebührlichen Verhaltens

AUS BREMEN HARTMUT METZ

Nicole Struse und Elke Wosik kauerten zusammen und heulten. Bestimmt zehn Minuten. Erst dann rafften sie sich auf und verließen, noch immer schluchzend, das Feld der Niederlage. In einem aufwühlenden Spiel um den Einzug ins WM-Viertelfinale unterlag die deutsche Tischtennisauswahl am Donnerstagabend in Bremen Österreich mit 1:3. Jörg Bitzigeio, der deutsche Trainer, sagte nach dem Match: „Österreich hat heute nicht gegen uns gewonnen, sondern Deutschland hat gegen sich selbst verloren!“

Dabei begann die Partie vielversprechend. Kristin Silbereisen steigerte sich im Vergleich zu ihrem WM-Debüt beträchtlich; die für Wu Jiaduo ins Trio genommene Busenbacherin bezwang selbst für sie gänzlich unerwartet Europameisterin Liu Jia im fünften Satz mit 11:9. Doch Wosik, die zweite Busenbacherin, verlor ihre Linie völlig und unterlag der 19-jährigen Veronika Heine noch mit 11:13 und anschließend 6:11, weil Wosik „voller Angst“ (Bitzigeio) ab dem 5:5 die Bälle nicht um Zentimeter, sondern um einen halben Meter hinter die Platte hinausschob. Weit mehr als dieses Malheur erhitzte Struses Duell mit Li Qiangbing die Gemüter.

Hatten rund 7.000 Zuschauer von Timo Boll (zwei Siege) und Christian Süß, die für das 3:1 über Österreich und den vorzeitigen Viertelfinaleinzug sorgten, erstklassiges Tischtennis gesehen, fühlten sich die Ausharrenden nun plötzlich wie beim Fußball. Im Mittelpunkt stand der Unparteiische Enrique Roman. Der Puerto Ricaner ist vorrangig dafür da, die Ergebnistafeln umzuklappen und die Aufschläge zu überwachen. Doch mit dem gelben Karton zeigte er Struse (34) an, dass er eine der Österreicherin entgegengereckte Faust gemäß Regel 5.2 als „Unsitte“ betrachte, durch die „das Spiel beeinflusst“ werde. Gelbe Karten kassierte die Kroppacherin in ihrer Karriere vermutlich so viele wie keine andere. Sie saugt daraus Motivation und schüchtert mit ihrer Aggression Kontrahentinnen ein.

Doch diesmal hatte sie die Rechnung ohne Herrn Roman gemacht. Der Schiedsrichter zückte auch Rot! Und das in der Verlängerung des vierten Satzes. Struse hatte soeben zum 10:10 ausgeglichen. Noch zwei Punkte fehlten der Weltranglistensechzehnten, um die Führung auszubauen. Jubilierend lief sie in Richtung Li und reckte die Faust. Enrique Roman dachte wieder an Regel 5.2 und sprach mit der roten Karte automatisch der Österreicherin den Zähler zum 11:10 zu. Eine mehr als zehnminütige hitzige Diskussion folgte, obwohl auch der herbeizitierte Oberschiedsrichter die Tatsachenentscheidung nicht aufheben konnte. „Ich breche das Spiel ab“, erklärte Struse in Rage. Bitzigeio konnte das verhindern – kein leichtes Unterfangen. „Ich musste nicht irgendjemand beruhigen, sondern Nicole Struse. Das ist besonders schwierig“, betonte der Bundestrainer.

Eine Stunde später schüttelte seine Nummer eins immer noch verzweifelt den Kopf und klagte: „Ich weiß nicht, ob Sport noch Sinn macht, wenn es nicht mehr erlaubt ist, die Faust zu ballen.“ Entnervt gab der Heißsporn den Satz mit 10:12 ab, ein 6:11 folgte. Nach Wosiks Aussetzer war die deutsche Nummer eins nicht mehr Herr ihrer Sinne und kassierte gegen Liu die entscheidende dritte Niederlage. Während Österreich gestern gegen Hongkong um eine WM-Medaille spielte, musste der WM-Sechste von 2004 gegen Kroatien den Kampf um die Plätze neun bis zwölf aufnehmen.

„Ihr Verhalten ist nicht korrekt und sie hat viele Spiele durch Psychologie gewonnen“, räumte Bitzigeio ein und reduzierte die Niederlage nicht auf die Schiedsrichterentscheidung, „Nicole hätte den fünften Satz trotzdem genauso wie Elke den vierten gewinnen können.“ Bundestrainer Bitzigeio bedauert lediglich, dass Emotionen und diese „normale Struse-Geste“ ausgerechnet in der Satzverlängerung geahndet wurden.

Europameisterin Liu Jia kennt ebenso wie die Schiedsrichter Struses unfaire Mittel. „Sie ist keine angenehme Gegnerin. Andere haben Angst vor ihr. Ich habe in der Halle bisher keine gesehen, die sich wie sie gebärdet“, betont die junge Österreicherin. Vertauschte Rollen also ausnahmsweise: Diesmal freuten sich dank des wackeren Schiedsrichters die Konkurrentinnen – und bei den Deutschen kullerten die Tränen.