Schönheit in Bewegung

Die WM ist ein Schaulaufen der Talente. Nikola Zigić aus Serbien ist eines. Spielt er schon bald in der Bundesliga?

AUS BILLERBECK RONALD RENG

Der Discjockey am Sportplatz in Billerbeck im Münsterland legt ein neues Lied auf: Zu „Ich würde nie zum FC Bayern München gehen“ von den Toten Hosen betreten die Fußballnationalspieler aus Serbien und Montenegro jetzt das Trainingsgelände. 2000 Zuschauer, händestreckend, um Autogramme bittend, öffnen ihnen einen Gang. Die meisten von ihnen sind Dortmund- oder Schalke-Fans, das Lied der Toten Hosen ein kleiner Scherz, Balsam auf die Fußballfan-Seele. Für die Fußballer freilich ist er keiner: Viele von ihnen würden wohl ohne großes Zögern zum FC Bayern München rennen.

Noch immer gleicht eine Weltmeisterschaft für Fußballer aus wirtschaftlich schwächeren Ländern einem wochenlangen Vorstellungsgespräch für lukrative Auslandsjobs. In Zeiten des gläsernen Fußballbetriebs hegt freilich kein Klub mehr die Illusion, bei einer WM aus dem Nichts ein Kronjuwel zu entdecken – jene Fußballer, die keine Stars, sondern einfach nur gute Profis sind, die bei einer modernen WM von den Scouts beobachtet und eingestuft werden. Serbien und Montenegro ist dafür ein exzellentes Beispiel: Seine zwei überragenden Talente, Nemanja Vidić und Ognjen Koroman, wurden von Manchester United und dem FC Portsmouth bereits vor der Weltmeisterschaft verpflichtet, bevor die ganze Welt sie sehen würde. Trotzdem bleibt Serbien-Montenegro auch während der Finalrunde in Deutschland ein Lieblingsteam der Scouts. Denn Schnäppchenjäger finden hier einen der womöglich heißesten Preise der WM: Nikola Zigić, 25, Angreifer von Roter Stern Belgrad, steht auf der Einkaufsliste der halben Bundesliga.

Zigić ist allein wegen seiner Körpergröße von 2,02 Meter kaum zu übersehen. Und eine halbe Stunde nach dem Anti-Bayern-Lied liefert er auch den fußballerischen Beweis für das Interesse der Scouts: Statt zu versuchen, einen Schuss von Zigić zu halten, zieht Torwart Oliver Kovacević den Kopf ein – ein Schutzreflex. Zigić hatte den Ball aus sieben Metern volley genommen, der Ball flog – Fußballer reden so – wie eine Rakete wenige Zentimeter an Kovacević’ Kopf vorbei. Fußballfans haben jetzt keine Zeit für den Torwart, denn Zigić’ Aktion war Schönheit in Bewegung. Besondere Spieler muss man einmal spielen sehen, um sie nie wieder zu vergessen.

Einige Tage später im Hotel Weißenburg, dem serbischen WM-Quartier: Für das Gespräch mit der taz sucht Zigić einen geeigneten Sitzplatz. Einfach ist das nicht: Zigić braucht Platz, um die langen Beine auszustrecken, wie er auch einen Verein sucht, bei dem er seine Qualitäten vor einem großen Publikum beweisen kann. Hertha BSC Berlin, Borussia Mönchengladbach und der Hamburger SV interessieren sich angeblich sehr für ihn. Alle wurden aber bislang abgeschreckt von der von Roter Stern Belgrad geforderten Ablösesumme: rund zehn Millionen Euro. Marktgerecht ist das nicht, das weiß man auch in Belgrad. Daher wird Zigić wohl für 3,5 Millionen gehen dürfen. „Ich hoffe, dass es demnächst passiert“, sagt er, „ich möchte gerne nach Deutschland.“

So einen Satz hat man in den vergangenen Jahren selten gehört. Doch das ausgeprägte Interesse der Bundesliga an ihm hat Zigić für sie eingenommen. Und es zeigt nebenbei auch, dass – bei allen Mängeln, die man der Liga vorwerfen kann – das Scouting so schlecht nicht ist: Gerade in Osteuropa sind die Bundesligavereine bei der Talentefahndung sehr aktiv. „Ich habe ihm geraten, nach Deutschland zu gehen“, sagt Savo Milošević, Serbiens Kapitän, der nach Stationen in England und Italien nun in Spanien spielt: „In der Bundesliga wird mehr als irgendwo sonst über die Flügel gespielt, das kommt Zigić zugute.“ Der hohe Diagonalpass aus dem Mittelfeld ist der sichere Weg zu Zigić, bei seiner Größe, aber auch seiner Ball- und Körperbeherrschung kommt kaum ein Verteidiger heran. Er spielt den Ball dann meist mit der ersten Berührung in den freien Raum für den Sturmpartner. So bereitete er die zur WM-Qualifikation entscheidenden Tore gegen Spanien und Bosnien vor.

Wenn Zigić seine 2,02 Meter in Bewegung setzt, ist das ein Spektakel. Gegen Argentinien muss ihm aber mehr gelingen als beim 0:1 gegen die Niederlande. Jene erste Partie zeigte nämlich, dass er oft ein Gefangener seiner Größe ist. Für viele ist er oft nur ein Plan B: ein Spieler, den man einwechselt, wenn nichts mehr geht, den man mit hohen, oft ungenauen Bällen bombardiert, die er dann schon verwerten wird. Zigić, selbstlos, bescheiden, wartet geduldig darauf, endlich ein Plan A zu werden. Bis dahin macht er das Beste aus seiner Rolle des Retters von verlorenen Spielen: Wenn die Hoffnung stirbt, wird Nikola Zigić erst lebendig.