Proteste nach Mord an Vergewaltigungsopfer

INDIEN Weil 16-Jährige nach zweifacher Gruppenvergewaltigung die Anzeige nicht zurückziehen wollte, wurde sie angezündet

Die Polizei deckte offenbar eher die Täter, als dem Vergewaltigungsopfer zu helfen

VON SASCHA ZASTIRAL

BANGKOK taz | Eine weitere Gruppenvergewaltigung erschüttert Indien. Bereits am 25. Oktober sollen mehrere Männer ein 16 Jahre altes Mädchen bei Kolkata, dem früheren Kalkutta, vergewaltigt haben. Nachdem das Opfer bei der Polizei Anzeige erstattet hatte, überfielen Berichten zufolge dieselben Täter das Mädchen einen Tag später erneut und vergewaltigten es ein weiteres Mal. Am 23. Dezember wurde das Mädchen mit Kerosin übergossen und angezündet. Es starb in der Neujahrsnacht.

Demonstranten protestierten am Mittwoch in Kolkata gegen das Verbrechen und gegen das Vorgehen der Polizei. Das ist inzwischen zum Politikum geworden. Lokale Medien berichteten, dass die Polizei zunächst die schweren Brandverletzungen als Ergebnis einen Selbstmordversuchs darstellte. Erst später räumte ein Polizist ein, das Mädchen habe vor seinem Tod ausgesagt, von zwei Bekannten eines Täters mit Kerosin übergossen worden zu sein. Ihre Familie wirft zudem der Polizei vor, sie zum Wegzug gedrängt zu haben.

Indiens Medien berichten seit einem Jahr ausgiebig über Sexualverbrechen. Im Dezember 2012 vergewaltigten mehrere Männer in einem fahrenden Bus in Delhi eine junge Frau und verletzten sie danach so schwer, dass das Opfer zwei Wochen später starb. Die Tat sorgte für einen Aufschrei und Proteste. Ein Schnellgericht verhängte im September gegen vier der Täter die Todesstrafe. Ein weiterer hatte sich offenbar in seiner Zelle erhängt. Ein sechster Täter, der zum Zeitpunkt des Verbrechens 17 Jahre alt war, befindet sich in einer Besserungsanstalt für Jugendliche.

Die Tat entfachte in Indien eine Debatte über Gewalt gegen Frauen. Die Regierung verschärfte als Reaktion auf die öffentliche Empörung Gesetze gegen Sexualstraftaten. So können besonders brutale Vergewaltigungen jetzt mit der Todesstrafe geahndet werden. In Delhi wurden Schnellgerichte eingerichtet, um Sexualstraftäter schneller verurteilen zu können.

Dessen ungeachtet kommt es jedoch immer wieder zu Gruppenvergewaltigungen. Im März überfielen sechs Männer im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh ein Paar aus der Schweiz und vergewaltigten die Frau. Die Täter wurden im Juli zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Behörden im südlichen Pondicherry nahmen vor wenigen Tagen zehn Männer fest, die an Heiligabend eine 21 Jahre alte Frau vergewaltigt haben sollen. Offenbar vergriff sich nach der ersten Vergewaltigung eine zweite Gruppen von Männern, die mit den ersten Tätern nichts zu tun hatte, an dem Opfer.

Das Verbrechen in Kolkata sorgt jedoch noch aus anderen Gründen für Entsetzen. Denn offenbar hat die Polizei nach dem Tod der Opfers versucht, dessen Körper so schnell wie möglich einäschern zu lassen. Polizisten versuchten Berichten zufolge, den Vater des Opfers mitten in der Nacht zur Herausgabe der Todesurkunde des Mädchens zu zwingen, die für eine Einäscherung notwendig ist. Erst nach mehreren Stunden sollen sie davon abgelassen haben. Zeitungen spekulierten, die Beamten könnten auf Weisung von Politikern des Trinamool Congress gehandelt haben, der Regierungspartei im Bundesstaat West-Bengalen.

Der Haupttäter soll dieser Partei angehören. Der Vater des Opfers ist ein Migrant aus dem armen Bundesstaat Bihar. Er ist Taxifahrer und Mitglied einer kommunistischen Gewerkschaft. Die kommunistische CPM, die bis 2011 West-Bengalen regierte, nutzte die Einäscherung des Opfers, um gegen die Landesregierung zu protestieren.

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