Süße Fantasien

EROTISCHE FRUCHTBARKEIT Es fügte sich, dass eine Schatulle aus einem Amsterdamer Antiquitätenladen die Künstlerin Ebru Özsecen zu Videos, Installationen und Skulpturen inspirierte. Jetzt zu sehen in ihrer Ausstellung „Kismet“

Auf gut Glück zog sie eine Bohne heraus und verbrachte die Nacht mit dem zufälligen Liebespartner

VON HÜLYA GÜRLER

Auf den ersten Blick fällt es nicht leicht, die Exponate der Ausstellung „Kismet“ in der Tanas Galerie in einen Gesamtzusammenhang zu bringen. Bei genauerem Betrachten aber kristallisiert sich eine vorherrschende Tendenz heraus, nämlich die, in jedem beliebigen Gegenstand oder jeder ebensolchen Handlung eine sexuelle Komponente zu entdecken.

Provoziert wird diese sexualisierte Wahrnehmung von der in München lebenden Künstlerin Ebru Özsecen, indem sie in ihren Installationen, Videos und Skulpturen simple Alltagshandlungen wie Putzen oder das Herstellen von Süßigkeiten auf raffinierte, unerwartete Weise erotisch auflädt.

In der am Boden befindlichen Videoprojektion „Serbet“ etwa hat das Übergießen des Baklava-Schichtteiggebäcks mit süßem Sirup etwas Laszives an sich und erinnert an Körperflüssigkeit. Der Prozess des Fließens wird zusätzlich durch zufällig im Zickzack angeordnete Filmrollen im Raum symbolisiert und ergibt so einen Gesamtzusammenhang aus Fließen, Produktivität und Fruchtbarkeit.

Rosabraunes Bullenhodenleder

Kismet heißt auf Türkisch Fügung. Eine Haltung, die für die Einen Schicksalsergebenheit, blindes Vertrauen dem Zufall gegenüber und Passivität bedeutet. Für andere dagegen ein zuversichtliches Vertrauen in das Leben und die darin als nicht immer zufällig gedachten Fügungen.

Den Namen „Kismet“ hat nun der Ausstellung ein Sack aus rosabraunem Bullenhodenleder gegeben, der in der Mitte der Galerie unter einer Ebenholzkugel hängt. Zwei parallel daneben aufgestellte Porzellanschalen erinnern an halbe Menschenrümpfe, und das gesamte Werk an heterosexuelle Vereinigung und Fruchtbarkeit; aber auch an Schutz, Gebrechlichkeit und Empfindlichkeit.

Zu der Ausstellung inspiriert hat die Künstlerin der Fund einer Schmuckschatulle in einem Amsterdamer Antiquitätenladen. Es handelte sich um eine Elfenbeinkugel, in der eine französische Comtesse Bohnen aufbewahrte, in die die Namen möglicher Liebeskandidaten eingraviert waren. Auf gut Glück zog sie jeweils eine Bohne heraus und verbrachte die Nacht mit dem ihr zugefallenen Liebespartner. Kismet eben.

Nach den „Bullenhoden“ erinnert auch der Herstellungsprozess von Schokolade, wie sie eine Videoinstallation dokumentiert, an das männliche Geschlechtsteil. Schwarze dickflüssige Schokoladenmasse wird zum Verfeinern durch einen Seidenstrumpf gepresst, so dass sie wie ein riesiger zäher Tropfen darin hängt: „Bitter Chocolate Love“. Ähnlich argumentieren auch Titel wie „Sweet Dreams“, „Baby Lakritz“; „Jawbreaker“ ist eine auf eine riesige Leinwand projizierte Filmschleife, in der eine Frau stundenlang schmatzend an einer Kugel aus Puderzucker herumleckt und -lutscht. Die sechs „Baby Lakritz“-Videos wiederum zeigen in einem sich wiederholenden Prozess, wie eine Masse aus Lakritz quasi wie ein (Baby-)

Körper geformt wird.

„Presentation“ ist besonders erwähnenswert: In traditionsbewussten Kreisen präsentiert sich beim Servieren von Mokka den Gästen in der Regel eine – meistens junge – Frau als Teil der Brautschaupraxis. Die Kehrseite des „Gute-Mädchen-Benehmens“ ist im wahrsten Sinne des Exponats die Prostitution: Auf die Hinterfläche des Bildes mit dem Mokkaservice wird ein Antragsformular gespiegelt. Mit diesem müssen Prostituierte, wenn sie sich im Haus ihrer Eltern aufhalten möchten, bei verschiedenen Behörden wie der Sittenpolizei einen Antrag stellen. Die Heimkehr wird für eine Prostituierte somit zu einer sehr umständlichen Arbeit.

„Kismet“ ist nicht die erste Ausstellung einer Künstlerin aus der Türkei in der Tanas Galerie. Tanas ist das Anagramm von sanat – zu Deutsch Kunst. Die Stiftung des verstorbenen Multimilliardärs Vehbi Koc unterstützt hier auch andere zeitgenössische türkische Künstler. Ab Mitte September stellen in der Sammelausstellung „Tactics of Invisibility“ – Strategien der Unsichtbarkeit – international bekannte Künstler wie der Filmemacher Kutlug Ataman („Lola und Bilidikid“) – oder die in Berlin lebende Künstlerin Nevin Aladag aus.

■ „Kismet“ von Ebru Özsecen, Tanas Galerie , Di.–Sa. 11–8 Uhr; Führung in dt. Sprache: 7. 8., 16 Uhr