Schuppen sind nicht das Problem

Jan Wolters Patienten sind klein, oft glänzend und glitschig: Der Tierarzt ist auf Zierfische spezialisiert und hat damit eine Marktlücke entdeckt. Früher wurden kranke Fische oft einfach ins Klo gekippt. Doch ihr Stellenwert hat sich stark verändert

von Thomas Joerdens

„Einer für alle“ heißt das Schicksal des Sternflecksalmlers. Der knapp drei Zentimeter lange, silbrig glänzende Fisch mit der orangefarbenen Schwanzflosse versucht, im Schwarm seiner Artgenossen dem grünen Kescher zu entkommen. Vergeblich. Jan Wolter bringt den kranken Fisch nach oben in den Behandlungsraum, legt ihn auf den Stahltisch, macht mit einer Schere „schnipp“ – und der Kopf ist ab. Mit einem geübten Schnitt schlitzt Wolter den Körper des kleinen Zierfisches auf, entnimmt eine Probe und legt sie unters Mikroskop.

Nach wenigen Augenblicken weiß er Bescheid. „Der Sternflecksalmler hat Fischtuberkulose. Die Krankheit ist ansteckend.“ Der Bestand wird eingeschläfert. „Es wäre unverantwortlich, die Tiere zu verkaufen“, erklärt Wolter dem Fischhändler, der die Fische zur Untersuchung gegeben hat. Dann desinfiziert er den Tisch für den nächsten Fall.

Jan Wolter mikroskopiert die Kotprobe eines Diskusfisches und stellt fest: „Darmentzündung und etwas Parasitenbefall.“ Der Patient kann mit den entsprechenden Medikamenten geheilt werden. Danach folgen der Abstrich an einem Goldfisch und der Check einer Aquariumwasserprobe auf Kupfer. Alltag für den 40-jährigen Fischdoktor.

Seit sieben Jahren betreibt der Veterinär in Charlottenburg Deutschlands erste Zierfischpraxis. Zwar haben sich bundesweit inzwischen auch sieben, acht Kollegen auf Kois spezialisiert. Doch Jan Wolter behandelt sie alle: Neben den schillernden Kois, einer Karpfenart, ebenso Goldfische, Schwertträger, Guppys, Neons, L-Welse und die übrigen mehr oder minder farbenprächtigen Zierfische. Tausende von Arten gibt es, die überwiegend als Importe aus Südostasien in die europäischen Aquarien wandern.

Ungewohnter Umgang

Wolter hat eine Marktlücke entdeckt: Wenn die Fische daheim schwächeln, nicht mehr fressen, sich verfärben, die Flossen anlegen und nacheinander sterben, suchte der Aquarianer in der Regel Rat beim Zoofachhändler, half sich irgendwie selbst, oder er spülte den angegriffenen Beckeninhalt kurzerhand ins Klo. „Es ist für viele immer noch ungewohnt, mit Zierfischen zum Arzt zu gehen. Doch das ändert sich zusehends“, sagt Jan Wolter.

Der Stellenwert der Tiere habe sich geändert. Außerdem kann der schwimmende Aquariuminhalt schnell zwischen 100 und 500 Euro kosten. Da überlegt man sich genau, ob man kranke oder tote Tiere nach der Ex-und-hopp-Methode wegkippt oder professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, um möglicherweise den Rest des Bestandes zu retten.

Der Veterinär ist seit seinem zwölften Lebensjahr selbst begeisterter Aquarianer und kam über die Fische auf den Gedanken, Tiermedizin zu studieren. Allerdings hatte er nie daran gedacht, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen, den es gar nicht gab. Die einzige Vorlesung an der Freien Universität Berlin zum Thema Fisch handelte von Nutzfischen, wie Forellen und Karpfen. Zierfische spielten keine Rolle.

Als Jan Wolter nach dem Studium in einer Kleintierpraxis anfing, kamen auch regelmäßig ratlose Fischbesitzer. Die Nachfragen brachten den Tierarzt auf die Idee, sich auf kranke Zierfische zu spezialisieren. Es ist ein weites, lange unbeackert gebliebenes Feld ohne nennenswertes Datenmaterial.

Die Fischbesitzer tragen die Patienten in mit Wasser gefüllten, abgedunkelten Beuteln, Eimern und manchmal sogar Wannen in Wolters Praxis mit Spreeblick. Die Tiere sollten „möglichst noch ein bisschen leben“, rät der Arzt. Denn Parasiten verschwinden schnell wieder, und Fische verwesen rasch. Wolter nimmt die glitschigen Tiere für Abstriche vorsichtig in die Hand. Anderen schnippelt er für seine Untersuchung ein kleines Stück der Kiemen weg. Manchmal verschafft nur eine Sektion Klarheit über die Krankheit. Es kommt auch vor, dass Jan Wolter den Fisch gar nicht zu sehen braucht; dann reicht schon eine Wasserprobe. Nach dem Befund verschreibt der Arzt Medikamente. Hin und wieder operiert er.

Um die Ursachen der Krankheiten herauszufinden, besucht der Tierarzt die Fischhalter zu Hause oder spricht mit ihnen ausführlich über Wasserwerte, Futter, Pflanzen, Aquariumtechnik, Neukäufe und Besatzdichte. Therapien können bis zu drei Wochen dauern; in Einzelfällen sogar einige Monate. Während dieser Zeit klingelt ständig das Praxistelefon. „Je intensiver die Kommunikation zwischen den Aquarianern und mir läuft, desto besser sind die Chancen, dass die Fische gesund werden“, lautet Jan Wolters Erfolgsformel.

Manche Fischbesitzer überlassen die Therapie gleich dem Fachmann. Im Keller der Praxis plätschert die stationäre Aufnahmestation der Zierfischpraxis mit 15 Becken. Zum bundesweiten Kundenstamm des Fischdoktors gehören neben privaten Aquarium- und Teichbesitzern auch ein gutes Dutzend Einzel- und Großhändler, die ihre Bestände regelmäßig inspizieren lassen. Gesunde Fische sind besser fürs Geschäft.

Bis zu 500 Tiere täglich

Die Zahl der Fischbesitzer, die zu ihm kommen, steige stetig, sagt Jan Wolter. Ende 1998 hatte sich der Veterinär mit einer Kollegin und Ziervögelspezialistin selbstständig gemacht. Doch die Gemeinschaftspraxis platzte bald aus allen Nähten. Im Januar 2004 eröffnete Jan Wolter eine neue, diesmal eigene Praxis. Die 70 Quadratmeter seien noch ausreichend. Aber die Arbeit habe kontinuierlich zugenommen. Seit Anfang April unterstützt den Tierarzt eine Mitarbeiterin. Wie viele Fische er am Tag behandelt, kann Wolter schwer abschätzen. Die Zahl schwanke zwischen 5 und 500, wenn es sich um eine Massenbehandlung in einem Aquarium handelt.

Trotz des täglichen Umgangs mit Zierfischen hat Jan Wolter den Spaß am eigenen Aquarium noch nicht verloren. Aus Rücksicht auf seine Frau und die beiden Söhne hat der Berliner allerdings die sieben Becken, die sich einst in seiner Studentenbude stapelten, auf zwei reduziert. Eines steht zu Hause und eines in der Praxis. Wolters Begeisterung für das zeitintensive Hobby ist nach wie vor dieselbe: „Für mich ist es spannend, einen Lebensraum zu schaffen, in dem sich die Fische wohl fühlen und vermehren und der sich ständig verändert.“

Ende der 70er-Jahre, als Jan Wolter von seinen Eltern sein erstes 10-Liter-Becken geschenkt bekam, war es noch einfacher, einige Krankheiten mit Mitteln aus der Zoohandlung zu heilen. Doch wegen der zahllosen Importe von überzüchteten, empfindlichen und immer neuen Zierfischarten seien selbst Klassiker, wie die so genannte Pünktchenkrankheit oder manche Pilzinfektionen, für den Laien kaum noch zu erkennen und zu therapieren. Doch dafür gibt es ja jetzt den Fischdoktor.

Zierfischpraxis Jan Wolter, Tegeler Weg 24, 10589 Berlin, Telefon (0 30) 34 50 22 10. Internet: www.zierfischpraxis.de