Mensch-Maschinen-Kollektiv

SYMBIOSE Die Hamburger Band „Wareika“ verbindet das Analoge mit dem Elektronischen derart elegant, dass sich die Frage nach den einzelnen Teilen nicht mehr stellt

An die Stelle des allein vor sich hin tanzenden Hedonismus rückt das Kollektiv

VON RUBEN DONSBACH

Mit großer Ernsthaftigkeit inszenierte sich die Band „Kraftwerk“ Anfang der 1970er als Roboter- und Maschinenkollektiv. 40 Jahre später scheint die Clubmusik der Tristesse des Minimalismus überdrüssig geworden zu sein. Verspielter und opulenter klingen die neuen Töne, die da aus Laptops und von Plattentellern kommen. Das Publikum ist verführt von dieser Ästhetik der neu-barocken Arabeske.

Bezeichnend ist, dass im offenen Gefüge des Clubs DJ-Sets zunehmend durch Live-Kollektive ergänzt werden. Wo übergangslos und unverortet elektronische Musik erklingt und die klassische Hierarchie zwischen Rockstar und Publikum aufgelöst worden ist, waren Musiker aus Fleisch und Blut bislang eine Seltenheit. Zumal wenn ihre Performance bewusst nicht als Konzert markiert ist, sondern integriert wird ins DJ-Set selbst.

Projekte wie „Body Bill“ oder „Booka Shade“ haben es vorgemacht. Gruppen wie die Hamburger „Wareika“ entwickeln es fort. „Wareika“, in der Fachpresse schon länger hoch gehandelt, verbinden das Analoge mit dem Elektronischen derart elegant, dass sich die Frage nach den einzelnen Teilen nicht mehr stellt. Dabei vermitteln sie eine im besten Sinne naive Lust am Spiel, die das inszenierte und überhöhte DJ-Rollenmuster einfach beiseite lässt.

Jakob Seidensticker produziert live Beats und Sounds, Henrik Raabe überspielt diese mit funkigen Gitarrenriffs, der klassisch ausgebildete Florian Schirmacher singt mit einer Emotionalität und Bewusstheit, die man eher im Soul als in der elektronischen Musik vermuten würde.

Bands wie „Wareika“ passen zum Selbstbild einer sich wandelnden Szene, die einerseits nach einem neuen Sound, andererseits nach neuen Formen urbaner Selbstorganisation sucht. An die Stelle des allein vor sich hin tanzenden und koksenden Hedonismus rückt das Kollektiv. Idealismus tritt an die Stelle des Kalküls. War das Publikum im Club vor kurzem noch rein konsumorientiert, gibt es verstärktes Interesse an den Produktions- und Distributionsgesetzen der (elektronischen) Musik.

Trotz der Krise entstehen neue Plattformen und Labels wie „Form Resonance“, in dessen Umfeld „Wareika“ zu finden sind. Anti-kommerzielle Konzerte und Festivals wie die „Fusion“ werden immer populärer. Netzwerke bilden sich, die die Struktur der Indielabels der 80er Jahre in das System einer global vernetzten Gemeinschaft übersetzen. Der Soundtrack dazu ist live.

Manchmal heißt das schlicht: Man geht wieder gemeinsam tanzen. Man könnte aber auch sagen: Der „Kraftwerk“-Avatar Mensch-Maschine hat sich locker gemacht.

■ Fr, 20. 8., im Rahmen der Party „Nachtsport in Love with Viva Con Agua 2.0.“, 23 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20. Die Eintrittserlöse gehen an die Trinkwasserinitiative Viva Con Agua