Jazz-Barde, meerumschlungen

Heute wird Schleswig-Holstein 60 Jahre alt, aber seine Einwohner lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Wir wollten mit Knut Kiesewetter über sein Land reden, aber es wurde am Ende doch ein Gespräch über seinen Stamm: Die Friesen

Interview: Petra Schellen

taz: Als Bundesland existiert Schleswig-Holstein heute auf den Tag genau seit 60 Jahren. Sind Sie …

Knut Kiesewetter: Ja, aber es gibt deswegen noch lange nicht den Schleswig-Holsteiner!

Sondern?

Es ist ein Land, in dem verschiedene Stämme wohnen. Wir haben hier vier Haupt-Stämme: die Friesen, die Søderjysker, die Holsteiner und die Dithmarscher. Die sind alle grundverschieden.

Welchem Stamm gehören Sie denn an?

Eigentlich keinem. Geboren bin ich in Stettin, der Hauptstadt von Pommern. Mein Großvater bestand darauf, dass ich den friesischen Vornamen Knut bekomme, weil seine Vorfahren Friesen waren, die nach Pommern gegangen waren.

Empfinden Sie sich als Friese?

Ich bin als Dreijähriger hierher gekommen und werde am 13. September 65. Wenn ich kein Friese bin – wer dann sonst?

Wie haben Sie Friesisch gelernt?

Ich bin auf Eiderstedt groß geworden, und da spricht man schon seit 200 Jahren kein Friesisch mehr. Ich habe Friesisch sozusagen als Fremdsprache gelernt.

Können Sie auch die anderen Sprachen der Stämme?

Nicht richtig. Ich habe mich früher sehr viel um Friesisch gekümmert, ich konnte eigentlich jeden Dialekt – das teilt sich übrigens in zehn Haupt-Dialekte auf. Der südlichste ist das Helgoländisch; Dänisch habe ich auch ein bisschen gelernt. Und Plattdeutsch kann ich sowieso; das ist kein Problem.

Gibt es eigentlich einen spezifisch friesischen Humor?

Ja. Der friesische Humor ist ein sehr harter Humor. Die gehen knüppelhart miteinander um, nehmen aber nicht übel. Sie geben sich die bösesten Spitznamen – und der andere muss damit rumlaufen sein Leben lang. Das ist etwas, was ich an den Friesen ausgesprochen sympathisch finde.

Wie kommt es, dass der Friese nichts übel nimmt?

Volkscharakter entsteht für mich durch das Zusammenleben der Leute und dadurch, dass Dinge von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. In den Chromosomen ist das nicht enthalten.

Sprechen wir über schleswig-holsteinische, über friesische Identität. Die besteht ja nicht nur aus Humor …

Nein. Es ist das Umfeld, das den Menschen prägt – kurz: Heimat. Aber die ist ja nicht nur angeboren. Heimat ist auch erlernbar. Es gibt Leute, die nach Nordfriesland kommen und nach zehn Jahren mehr Friesen sind als alle anderen, die hier wohnen. Das sind dann quasi die Vorzeige-Friesen.

Wie würden Sie denn den Friesen charakterisieren? Und seine Frau?

Er ist sehr viel gastfreundlicher, als man ihm nachsagt. Außerdem überhaupt nicht stur, sondern ich halte die Friesen für ausgesprochene Plaudertaschen. Und von seiner Frau kriegt der Friese eher immer auf’n Döötz.

Wo ist denn für Sie Heimat? Im nordfriesischen Garding, wo Sie seit 62 Jahren wohnen?

Dieses Garding ist schon ein Stück Heimat für mich. Obwohl sich Garding natürlich, seit ich hierher zog, verändert hat. Und je älter ich werde, desto stärker merke ich, wie konservativ ich bin. Die ganze Modernisierung stört mich sehr. Und jeder Baum, der abgehackt wird, ist ein Stich in mein Herz.

Ist das ein allgemein schleswig-holsteinisches Desiderat: der Umweltschutz?

Ich glaube ja. Es gibt zum Beispiel in ganz Nordfriesland nicht ein Gesetz, das verhindert, das ein Baum umgehackt wird.

Wenn Sie ab morgen Herrscher über diese ganzen Stämme in Schleswig-Holstein wären – welches Gesetz würden Sie zuerst erlassen?

(Lacht ausdauernd und schallend.) Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.

Dann tun Sie’s jetzt!

Also … ich würde wollen, dass jeder Schleswig-Holsteiner zumindest Plattdeutsch kann!

Das hilft politisch aber noch nicht so viel … Dann können sich die Leute auf Plattdeutsch streiten …

Ooch, ich finde, die Leute sollten nicht so viel streiten. Und politisch habe ich keinerlei Ambitionen mehr.

Sprechen wir über Musik. Sie spielen ja Posaune. Ist das Teil der friesischen Identitätsfindung?

Nein. Ich habe irgendwann angefangen, Jazz zu machen. Und den kann man ja nicht als friesische Volksmusik bezeichnen.

Wie kamen Sie auf die Posaune?

Ich habe mit 13 den Posaunisten und Sänger Jack Teagarden gehört. Das hat mich derart fasziniert, dass ich das unbedingt lernen wollte. Dazu will ich Ihnen mal eine kleine Geschichte erzählen: Eine Mutter geht mit ihrem kleinen Sohn in ein Konzert. Der Kleine ist restlos begeistert. Auf dem Nachhauseweg sagt er: Wenn ich erwachsen bin, möchte ich Musiker werden. Da sagt die Mutter: Entscheide dich. Du kannst nur eins von beiden.