Ein Mythos schießt keine Tore

RELEGATION Der Hamburger SV empfiehlt sich beim 0:0 gegen Greuther Fürth nicht wirklich für die Erste Bundesliga

HAMBURG taz | Kaum hatten sich die Spieler wieder vom Rasen erhoben, auf den sie nach dem Schlusspfiff aus Enttäuschung und Entkräftung gesunken waren, erklang wieder das Glaubensbekenntnis, das jeder HSVer wöchentlich erneuern muss. „Ein großartiger Verein wie der HSV gehört in die Bundesliga“, sagte Kapitäns Rafael van der Vaart.

Vorher hatte sich der Zweitligadritte Greuther Fürth keinesfalls der Deutungshoheit des Großstadtklubs unterworfen und ihm mit fußballerischen Mitteln aufgezeigt, dass zwischen Größenwahn und brutalem Absturz manchmal nur ein ganz schmaler Grat liegt.

Auf dem wandelt der HSV nun allerdings schon seit Wochen. Wer nach erbärmlichen 27 Punkten in der Liga und einem kraftlosen Auftritt wie am Donnerstag noch nicht in die Zweitklassigkeit abgestürzt ist, der muss entweder schwindelfrei sein oder aber höhere Mächte auf seiner Seite haben. Die Fans scheinen mittlerweile von Letzterem überzeugt zu sein und machten das Spiel zu einer kultischen Zeremonie, die sie schon lange vor Beginn mit dem suggestiven Gesang: „Immer Erste Liga – HSV“ einleiteten. So wird der Mythos selbst, der Mythos der Unabsteigbarkeit, zum letzten Halt am Abgrund. Wie jede religiöse Veranstaltung lebte auch diese vom bizarren Gegensatz zwischen dem leidenschaftlich Behaupteten und dem, was man mit eigenen Augen sehen kann. Die Champions-League-Stimmung auf den Rängen passte nicht zum Hamburger Spiel, das eine Ansammlung gut gemeinter Aktionen war, aber nur ganz wenige Spielzüge enthielt, die dem Anspruch des Klassenerhalts einigermaßen gerecht wurden. Nach dem bescheidenen Aufwärtstrend bei den Niederlagen gegen Bayern München und Mainz 05 zeigte sich das Team wieder als ein Haufen von Individualisten, die von diversen Sportdirektoren und Trainern zusammengesucht wurden und auch vom aktuellen Coach Mirko Slomka nicht zusammengefügt werden konnten. Zudem merkte man den beiden verbliebenen Hoffnungsträgern Hakan Calhanoglu und Pierre-Michel Lasogga bei fast jeder Aktion die Last der Verantwortung an. Kaum hatten sie den Ball, schienen sie vom Gedanken besessen, etwas Großartiges tun zu müssen. Calhanoglu dribbelte und schoss, Lasogga wühlte und rammte, aber es war Stückwerk. Die Ausnahme bildete eine kurze Phase nach etwa einer Stunde, als der frisch eingewechselte Marcell Jansen auf der linken Seite mit seiner Dynamik neue Räume riss – doch auch das verpuffte schnell. Wie es anders geht, zeigten dagegen die Gäste. Nur das Abschlusspech von Torjäger Azemi verhinderte, dass der HSV schon Donnerstag aller Hoffnungen beraubt wurde.

So versuchte das glaubensfeste Hamburger Publikum bis zum Schlusspfiff, jeden Eckball und Freistoß aus eigener Kraft ins Tor zu brüllen. Und selbst danach skandierte es trotzig: „Auswärtssieg, Auswärtssieg“. Den braucht es zwar gar nicht, da dem HSV in Fürth schon ein 1:1 genügt, wie auch Mirko Slomka schnell ausrechnete. Doch gerade jetzt scheinen sich die höheren Mächte vom HSV abzuwenden: Eine Stunde nach Spielschluss stoppte ein Stromausfall die HSV-Uhr, die jede Sekunde der Bundesliga-Zugehörigkeit seit 1963 angezeigt hatte. Vor dem, was beim schuldengeplagten HSV zum Vorschein kommt, wenn er nicht mehr mythisch überhöht werden kann, graut es einigen jetzt schon. Das wird spätestens die Mitgliederversammlung am 25. Mai offenlegen, in der es um die Gründung einer Fußball-AG geht. RALF-PETER LORENZEN