Horizont erweitert Kultur

In der Kulturverwaltung in der Brunnenstraße kümmert sich Reiner Schmock-Bathe darum, dass möglichst viel EU-Geld in die Kulturlandschaft fließt. Dazu muss er vor allem selbst kreativ werden

Von NINA APIN

Das Büro von Reiner Schmock-Bathe sieht aus wie ein Paradies für Bürokraten: Auf dem Schreibtisch stapeln sich Umlaufmappen mit dem Vermerk „Eilt!“ , eine Wand ist komplett bedeckt mit akribisch beschrifteten Aktenordnern. Dazwischen türmt sich Fachliteratur, das „Deutsche Beamtenjahrbuch“, Gesetzestexte.

Schmock-Bathe, der mit Streifenhemd und Hornbrille Doktorand der Geschichtswissenschaft sein könnte, zieht blind das „Handbuch zur Kulturförderung der EU“ aus einem Stapel. „Da schaue ich hinein, wenn ich den Überblick verliere“, sagt er. Ein Scherz, denn der Ansprechpartner der Kulturverwaltung für „Europäische Kulturförderung und EU-Strukturfondsförderung in der Kultur“ wird dafür bezahlt, stets den Blick für das Wesentliche zu behalten.

Das Wesentliche ist für den Verwaltungsbeamten, so viel EU-Geld in die Berliner Kulturlandschaft zu leiten wie möglich. Das offizielle Kulturförderungsprogramm der Europäischen Union mit seinen 236,5 Millionen Euro Etat reicht ihm dabei nicht. Denn auf sechs Jahre und 25 Mitgliedsländer aufgeteilt, blieben am Ende weniger als 1 Million in Berlin hängen, hat er errechnet. Im Vergleich zu den 350 Millionen Euro Kulturetat des Landes und den 4,2 Millionen Fördervolumen des Hauptstadtkulturfonds fällt die EU-Kulturförderung also kaum ins Gewicht. Trotzdem kämpft Schmock-Bathe um jeden Cent aus Brüssel. „Wir produzieren in Berlin einen Überschuss an Kultur. Und deren Bedürfnisse gehen nun einmal über reine inhaltliche und programmatische Förderung hinaus.“

Kreativer Beamter

Also setzt der Verwaltungsbeamte seine Kreativität ein. Und die ist mindestens so groß wie seine Sachkenntnis der gesamten EU-Förderpalette. Schmock-Bathe kennt alle Geldtöpfe, von der Städtepartnerschaft bis zum Umweltentlastungsprogramm. Aus dem hat er vor drei Jahren der Tempelhofer Ufa-Fabrik ein neues Dach spendiert. Als Kulturausgabe wäre die 4.000 Quadratmeter große Überdachung für den Tempelhofer Kulturbetrieb nicht zurechtfertigen gewesen, als ökologisch sinnvolle Baumaßnahme schon. Es musste dann eben ein zusammen mit einer TU-Forschungsgruppe entwickeltes Gründach sein. „Man kann jedes EU-Instrument für die Kultur nutzen. Es kommt nur auf die eigene Findigkeit an“, ist Schmock-Bathes Credo. Das meiste Geld sei bei den Strukturförderungsprogrammen zu holen, bei Programmen wie EFRE, dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, und dem ESF, dem Europäischen Sozialfonds (siehe Text unten).

1 Milliarde Euro hatten diese Programme in den letzten sieben Jahren zur Verfügung. Im Unterschied zur direkt von Brüssel gesteuerten Kulturförderung können die Mitgliedsländer selbst über die Mittelvergabe entscheiden. Es ärgert Schmock-Bathe, dass die Kulturverwaltung die letzte Förderperiode nicht optimal genutzt hat. Das will er nun ändern. Eifrig zeigt er ein paar zerlesene Broschüren, um zu zeigen, wie hellwach die Senatsverwaltung inzwischen ist: „EFRE ist für die Hardware zuständig, Brückenbau, Infrastruktur und so. Da könnte man Bibliotheken und ein bisschen Kulturwirtschaft unterbringen.“ Unter das Dach des ESF wiederum passe „alles, was mit Horizonterweiterung zu tun hat“. Also jedes beliebige Kulturprojekt?

Schmock-Bathe wiegelt ab. Es gehe ihm nicht darum, die EU zu betrügen, sondern allein um die Nutzbarmachung aller verfügbaren Mittel für die Berliner Kultur – ein legitimes Unterfangen. Ob Städtepartnerschaft, Publikumsaktionen zur EU-Osterweiterung oder das Europäische Jahr der Chancengleichheit: Schmock-Bathe kennt immer ein Museum, eine Bibliothek oder einen Verein, die das Geld gut gebrauchen kann.

Mit Begeisterung erzählt er, wie er im laufenden Jahr die Eröffnung der Blindenwerkstatt Otto-Weidt, die Anne-Frank-Ausstellung und den Ausbau des Naturkundemuseums finanziert hat. Die Mittel stammen aus einem Topf für Tourismusmarketing, der eigentlich für die Regionalförderung gedacht ist. Aber wer sagt, dass Museen nicht genauso regionalfördernd wirken wie der Bau eines Touristeninformationszentrums? Es klopft an der Tür. Ein Mann von der Ufa-Fabrik steht draußen und will wissen, wie es mit Geld aus dem Strukturfonds aussieht. Schmock-Bathe wiegt den Kopf und erklärt, dass man in Brüssel gerade viel von „abnehmendem Grenznutzen“ spreche: Als Folge der EU-Osterweiterung soll Berlin nicht mehr wie bisher als Höchstfördergebiet gelten. Was das heiße, will der Mann von der Ufa-Fabrik wissen. „Ich werde die schon überzeugen“, verspricht Schmock-Bathe.

Überforderte Vereine

Der Senatsbeauftragte bedauert, nicht mehr Zeit für die Beratung von Kultureinrichtungen zu haben. Bedarf gebe es genug, auch bei der Antragstellung für die EU-Kulturprogramme, für die eigentlich Brüssel direkt zuständig ist. Schmock-Bathe beschränkt sich darauf, die Europaberichte zu lesen und daraus seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Kleine Vereine seien mit der Durchführung von mehrjährigen, länderübergreifenden Großprojekten manchmal überfordert, sagt er. Die täten gut daran, sich einen Termin in der Kulturverwaltung geben zu lassen, um sich über andere Fördermöglichkeiten beraten zu lassen. Denn wer außer Schmock-Bathe weiß schon, dass es seit 2004 ein Programm zur Förderung europaweiter kultureller Einrichtungen gibt oder dass 2007 das „Jahr der Chancengleichheit“ wird?

In den nächsten sieben Jahren wird Integration das große politische Thema, verrät Schmock-Bathe. Europäisches Jahr des Interkulturellen Dialogs 2008, Kultur-, Media- und Bürgerschaftsprogramme – der Beamte überlegt jetzt schon, wo er den Karneval der Kulturen am besten unterbringen könnte. Aber erst mal klingelt wieder sein Telefon: „Ja, ja, abnehmender Grenznutzen, ich weiß. Aber das kriegen wir hin.“

Könnte der findige Beamte nicht auch Gelder für die Sanierung der Staatsoper auftreiben? Schmock-Bathe winkt ab, greift sich den EG-Vertrag und zitiert Artikel 151, Beitrag zur kulturellen Entfaltung: Wahrung der nationalen Verantwortlichkeit, Kofinanzierung von mindestens 50 Prozent. Selbst der EU-kompetenteste Beamte kann eben kein Ersatz für eine vernünftige Kulturpolitik sein.