„Wir verkaufen keine Kinderwagen“

HEBAMMEN Die Hamburger „Schanzenhebammen“ haben expandiert: Neben Geburtshilfe bieten sie nun Eltern- und Kinderkurse an – und in einem Laden möglichst fair gehandelte Produkte für Babys und Kleinkinder, die sie selbst für empfehlenswert halten

■ Ihre Haftpflichtversicherung können freiberufliche Geburtshelferinnen nicht mehr bezahlen. Ab 1. Juli beträgt sie 5.000 Euro, 20 Prozent mehr als 2013. Ihr Nettolohn: 8,50 Euro pro Stunde.

■ Ab Juli 2015 gibt es keinen Versicherer mehr, der für Geburtsschäden haften will.

■ Nicht die Zahl der Schäden steigt, sondern die Summen, die herausgehandelt werden.

■ Befristete Zuschläge, die Krankenkassen und Hebammenverbände für die Zeit ab 1. Juli aushandeln sollen, beschloss der Bundestag am 5. Juni. Ab dem 1. Juli 2015 soll ein Sicherstellungszuschlag die Risiken von Hebammen mit wenigen Geburten abfedern.

VON THERESA GLÖDE

Noch liegt der Geruch von Neuem in der Luft. Er könnte von der Wolle oder der Seide kommen, deren Duft von den Babystramplern im Eingangsbereich herüberweht. Oder sind es die kleinen ätherischen Ölfläschchen? Womöglich stammt er aber auch von den gelben Holzmöbeln, einem Regalsystem, das Thomas Huth speziell für diesen Laden angefertigt hat. Der Architekt bringt gerade noch das Logo an, über der Kasse, mit einem Herzen über dem i. Geöffnet hat Kleinerdrei schon seit dem 14. Juni. Es ist ein Laden für Kinder unter drei Jahren, mitten im Hamburger Schanzenviertel, einen Steinwurf von der besetzten Roten Flora entfernt. Er vereint Hebammenpraxis, Kursangebote und einen Laden.

Bei seiner Holzkonstruktion hat Huth auch an die Kleinen gedacht. Während die Eltern das Sortiment durchstöbern, können die Kinder auf Kinderstühlen und einem riesigen Sitzsack Platz nehmen. Unterhalb der Regale gibt es Löcher auf der Höhe von bis zu neunzig Zentimetern, in die Kinder hineintasten, Gegenstände erfühlen und sogar hineinkrabbeln können.

Anlass für die Gründung war, dass die neun „Schanzenhebammen“ sich Sorgen um ihre Zukunft machten. Die Bedingungen für Hebammen hatten sich durch versicherungsrechtliche Probleme derart verschlechtert, dass sie fürchten mussten, nicht weiter praktizieren zu können. Und dann wurde auch noch ihr Mietvertrag gekündigt. „Das war in Krisenzeiten wie diesen für uns nicht leicht“, sagt Susanne Toth, die zusammen mit Larissa Büter schon seit 2006 eine Hebammenpraxis leitet.

Sie entwickelten ein neues Konzept aus den drei Säulen Geburtshilfe, Kursangebote für Eltern und Kleinkinder sowie einem Laden mit Produkten, die die Hebammen empfehlen. Damit erfuhren sie viel Zuspruch: „Erstmals zogen Eltern und Hebammen an einem Strang, als es hieß, es müssen Alternativen her“, sagt Toth. Zum Glück. Ihr Dank dafür gilt unter anderem den engagierten Eltern, „die sich während dieser Zeit ganz plötzlich in Initiativen zusammenfanden“.

Trotz allem blieb Toth zunächst skeptisch: „Denn wenn es ums Verkaufen geht, sind wir Hebammen zurückhaltend.“ Ihre Skepsis wich, als es an die Auswahl der Produktpalette ging: Ganz bewusst entschieden sich die Schanzenhebammen für einen Weg abseits des Massenkonsums: möglichst fair gehandelte, langlebige und schadstofffrei hergestellte Produkte, fernab von Plastikwelten. „Aus diesem Grund gibt es bei uns auch keine Kinderwagen und Nuckelfläschchen.“

Vielmehr plädiert Toth für Tragetücher, weil sie im Wortsinn die Bindung des Kindes an die Eltern förderten. Wie bei dem jungen Vater, der im Umkleideraum nebenan gerade mit einem Tuch kämpft.

Toth sieht eine gewisse Orientierungslosigkeit, die sich bei werdenden Eltern häufig einstellt. Das Internet, die vielen Ratgeber, die Dominanz der Werbung und der ständige Vergleich mit anderen Eltern führten dazu, „dass viele verunsichert sind, was denn das Richtige für ihr Kind ist“. Und das sei eben kein Kinderwagen für tausend Euro.

„An unserem Kursprogramm nehmen auch immer mehr Männer teil“, sagt Toth. Sie wollten ihrem Kind auch innerhalb der ersten drei Lebensjahre nahe sein. „Sie warten nicht mehr nur darauf, bis es irgendwann Fußball spielen kann.“

Eine sportliche Alternative für Mütter bietet dagegen der Kurs „Mamabalance“. Hier werden Elemente aus Yoga, Pilates und Body-Mind-Fitness mit der Rückbildungsgymnastik und klassischen Workouts zusammengeführt, um gemeinsam mit dem Baby zu trainieren. Neben gängigen Kursen wie Geburtsvorbereitung, Rückbildung und Babymassage, geht es etwa bei „Einfach Eltern“ besonders um Fragen von Eltern und den Austausch. Im Trend liegt der Kurs „Babysignal“. Hier erlernen Erwachsene die Gebärden von Babys, die noch nicht sprechen können. Darüber hinaus gibt es spezielle Kurse nur für Männer, in denen beispielsweise die Wickeltechnik von Tragetaschen geübt wird. Auch Großeltern sind bei Kleinerdrei willkommen.

Für die Schanzenhebammen ist die persönliche Betreuung und Beratung durch ihre berufliche Existenzbedrohung einerseits schwieriger geworden, anderseits „wächst ihre Nachfrage stetig“, so Toth. „Eltern haben heute Ängste, die sich innerhalb der Medizin nicht unbedingt beseitigen lassen. Sie vertrauen den Ärzten nicht mehr blind, sie hinterfragen. Dann kommen wir ins Spiel.“ Kleinerdrei soll eine Möglichkeit zur Mitbestimmung bieten, als Alternative, die Antworten auf die Frage gibt: „Wie will ich dieses Elternsein leben und gestalten?“

Kleinerdrei, Eifflerstraße 43, Mo bis Fr 10 bis 19 Uhr, Sa 11 bis 18 Uhr, www.kleinerdrei.co