ERINNERUNGEN AN DIE KINDHEIT, ANZÜGLICHE WITZE UND EIN RICHTIG GROSSES MÄDCHEN
: Die Transen sahen mehr aus wie Dolly Parton als Dolly Parton

VON HEINRICH DUBEL

Kaum dass ich mich an meine Kindheit erinnere, fällt mir dieser Song ein: „Jolene, Jolene“. Wie es weitergeht, wusste ich damals nicht. In Ermangelung englischer Sprachkenntnisse wurde eben irgendwas dahergesungen, das so ähnlich klang. Dolly Parton ist einer meiner frühesten kulturellen Einflüsse gewesen. Er hat Punk überlebt, später Techno und auch sonst alles Mögliche. Dennoch hat es über 40 Jahre gedauert, bis ich endlich ein Konzert besuche. Andererseits ist es auch 40 Jahre her, seit Dolly Parton in Deutschland auftrat. Seitdem hat sie 100 Millionen Platten verkauft und einen Vergnügungspark eröffnet, der mal den Preis für den „besten Freizeitpark der Welt“ gewann.

Die Show der winzigen Sängerin (1,50 Meter groß, mit Absätzen 1,65 Meter) am vergangenen Sonntag hat etwas Paradoxes. Entertainment mit maximaler Effizienz und Professionalität wird geboten, glatt und perfekt getaktet. „Las Vegas in Berlin“, sagt einer nebenan. Die Gags sind bekannt, schon lange. Doch niemand stört sich dran. Dolly Parton ist so herzlich, so präsent, so in your face, man will glauben, sie hätte sich alles eben erst ausgedacht: „Ich bin auf Tournee gegangen, weil ich das Geld brauchte. Es kostet ’ne Menge Kohle, so billig auszusehen.“ Wow, dieser superalte Witz. Das Publikum johlt. „Mensch, ist das heiß hier drinnen. Oder seid ihr das?“ Applaus, die Leute in der bestuhlten Halle springen auf, drängen vor die Bühne. „Wenn man ein richtig großes Mädchen sieht, kann man nie wissen, ob es nicht vielleicht ein Kerl in Drag ist. Hey, du da vorne, ja du … bist du eine Dragqueen oder ein echtes Mädchen?“ Mehr Gelächter, mehr Applaus.

Nicht jede/r kann sich so was erlauben. Dolly Parton kann. Obwohl sie bekennende Christin ist und aus dem ultrakonservativen amerikanischem Hinterland stammt, ist sie ausgesprochen pro-queer, eine Ikone der Schwulenbewegung. Auch geht sie offensiv mit dem Thema Körpermodifikation um. Der Witz, dass es teuer ist, so billig auszusehen, bezieht sich nicht allein auf ihre Kleidung und auf ihre irren Perücken. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie fast eine Million Dollar für Schönheitsoperationen ausgegeben. Ihr Style, früh von einer Kleinstadtprostituierten abgeschaut, hat sich nie besonders verändert oder gar entwickelt. Sie hat ihn konserviert. Gern erzählt sie die Geschichte, wie sie in einer Transenbar an einem Dolly-Parton-Lookalike-Contest teilnahm und Letzte wurde. Die Transen sahen mehr aus wie Dolly Parton als Dolly Parton.

Der andere Teil ihrer Erzählung ist die Herkunft aus sehr einfachen Verhältnissen. Ihre Jugend in den Bergen von Tennessee, ihre Familie, das harte Landleben – das findet sich in ihren Liedern, nicht die irre, schrille Persönlichkeit. Sie hat über 3.000 Songs geschrieben, darunter Superhits wie „I will always love you“, von dem jeder denkt, er sei von Whitney Houston.

Dolly Parton ist Multiinstrumentalistin. Und sie hat eine tolle Stimme, auch mit 68 Jahren, auch noch am Ende einer Welttournee. „Little Sparrow“, ein supertrauriges Liebeslied, singt sie fast komplett ohne Begleitung, da bleibt kein Auge trocken. Von den knapp 7.000 Besuchern des Konzerts in der O2 World wird nachher wohl keiner sagen, Dolly Parton habe nicht live gesungen (solche Vorwürfe wurden nach ihrem Auftritt beim Glastonbury-Festival laut).

Dolly Parton singt viele alte Lieder, aber auch neue Stücke von ihrer aktuellen Platte und eine Coverversion des Dylan-Songs „Don’t think twice“. Auch das, nicht ohne einen anzüglichen Witz zu machen: „Ich könnte ein ganzes Album mit Dylan-Songs aufnehmen und es ‚Dolly does Dylan‘ nennen. Doch das würde zu sehr nach einem Schmuddelfilm klingen.“

„Jolene“ kommt gleich zu Anfang .