Amnestie für Warlords

Das afghanische Parlament beschließt ein Gesetz, das juristische Verfolgung von Kriegsverbrechen ausschließt

BERLIN taz ■ Das vom afghanischen Parlament verabschiedete Amnestiegesetz hat unter afghanischen Politikern und Menschenrechtlern für Kritik gesorgt. Das „Nationale Versöhnungsgesetz“ sieht vor, dass weder politische Parteien noch Gruppen, die seit 1979 in das Kriegsgeschehen in Afghanistan verwickelt gewesen sind, juristisch belangt werden dürfen. Im Text heißt es, die Verfechter des „Heiligen Krieges“ müssten „mit Respekt behandelt und gegen jedwede Beleidigung verteidigt werden“. Zugleich werden die Taliban zur Integration aufgerufen. Das Gesetz muss noch vom Senat gebilligt und vom Präsidenten unterzeichnet werden.

Schon bei der Verabschiedung im Parlament – das von den Parteien ehemaliger Warlords dominiert wird – hatten am Mittwoch einzelne Volksvertreter aus Protest den Saal verlassen. Die Abgeordnete Malalai Dschoja sagte, nationale Einheit werde nicht durch „Vergebung für nationale Verräter“ erreicht. Der Entwurf sei „ungerecht“ und „gegen den Willen des Volkes“.

„Diese Entscheidung widerspricht internationalen Vereinbarungen“, kritisiert auch Aziz Rafiee, Vorsitzender des Afghan Civil Society Forum, gegenüber der taz. Rafiee fordert die Einhaltung des nationalen Versöhnungplans Afghanistans. Dieser war 2005 von der Afghanischen Menschenrechtskommission, der Regierung in Kabul und der UNO beschlossen worden. Er sah unter anderem die Einrichtung von Strafgerichten für ehemalige Kriegsverbrecher vor. „Mit ihrem Votum für das Amnestiegesetz haben die Parlamentarier ihre Macht missbraucht“, so Rafiee. Zur Versöhnung trage das Gesetz in keiner Weise bei.

Dieser Meinung ist auch Brad Adams, Asiendirektor der Organisation Human Rights Watch (HRW). „Das Gesetz wird nicht die Taliban vom Kämpfen abhalten, es schützt lediglich die Warlords im Parlament“, so Adams zur taz. „Dieser politische Kuhhandel ist der blanke Zynismus gegenüber den Afghanen, die auf Demokratie und Rechtssicherheit hoffen.“ HRW hatte im Dezember die Einrichtung eines Sondergerichts gefordert, das über die Verbrechen während der sowjetischen Besatzung (1979–1992), während des Bürgerkriegs (1992–1996) und während der Talibanherrschaft (1996–2001) richten soll.

Auch Parlamentarier und Mitglieder der aktuellen Regierung sind nach Angaben von HRW in Kriegsverbrechen verwickelt. HRW-Asiendirektor Adams verweist darauf, dass Präsident Karsai dem Gesetz die Unterschrift verweigern könnte. „Es ist ein Test für Karsai, ob er für Demokratie oder für die Warlords ist“, so Adams. Gleichzeitig verweist er auf die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft: „Ich bin sehr gespannt, was die UNO, aber auch die USA und die EU, deren Vorsitz Deutschland ja gerade hat, dazu zu sagen haben.“ ANETT KELLER

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