■ Wieviel Geld fehlt dem Bund? 14 Milliarden, 20 oder mehr? Hat Theo Waigel noch den Überblick? Die Antworten gibt es nach den Landtagswahlen. Einstweilen heißt des Finanzministers Zauberwort: Haushaltssperre. Ein Wort mit Klang.
: Letzter Ei

Wieviel Geld fehlt dem Bund?

14 Milliarden, 20 oder mehr? Hat

Theo Waigel noch den Überblick?

Die Antworten gibt es nach den Landtagswahlen. Einstweilen heißt

des Finanzministers Zauberwort: Haushaltssperre. Ein Wort mit Klang.

Letzter Einsatz für den Etat!

Für die angeschlagene deutsche Werftenindustrie hätte heute ein 3-Milliarden- Mark-Auftrag aus Bonn kommen sollen. Denn eigentlich hätten heute die Berichterstatter des Haushaltssausschusses für Verteidigung mit Finanzminister Theo Waigel den Bau von drei Fregatten für die Bundesmarine abstimmen sollen. Aber schon letzte Woche hatte der sich geweigert, die Vorlage für den Auftrag erarbeiten zu lassen. Wußte er doch bereits, daß der Bundesetat die Milliarden nicht verkraftet.

Ab heute gilt die Haushaltssperre. Belastet wird vor allem der Etat von Verteidigungsminister Volker Rühe und der des Verkehrsministeriums. Beide geben den größten Teil ihrer zunächst bewilligten Gelder für Investitionen aus. Während im Arbeits- und Sozialministerium 99,5 Prozent der Ausgaben gesetzlich vorgeschrieben sind, stehen Verteidigungsminister Rühe rund ein Viertel für Investitionen zur Verfügung.

Sie standen ihm zu. Von den bewilligten 13 Milliarden für Neuanschaffungen oder Wartung darf Rühe keine Summe über 5 Millionen Mark ausgeben. „Das ist eigentlich Kleinkram“, sagt Ernst Kastning, für die SPD im Haushaltsausschuß zuständig für Verteidigungsfragen. Allein die Wartung von Panzern oder die Modernisierung von Schiffen verschlinge weit größere Summen. „Unabhängig davon, ob man für oder gegen Rüstung ist, sind die arbeitsmarktpolitischen Folgen gravierend“, so Kastning. Allein mit dem nicht erteilten Fregatten-Auftrag hätten die Vulkan Marine-Werft in Bremen, Blohm + Voss, Howaldtswerke-Deutsche Werft AG und die Thyssen Nordsee-Werft ihre Arbeitsplätze sichern können.

Der Sprecher des Finanzministers versucht sich in Gelassenheit: „Die Haushaltssperre hat lediglich präventiven Charakter.“ Sie soll Löcher in der Bundeskasse vermeiden. Jedes Ministerium müsse nun prüfen, welche Ausgaben unbedingt notwendig seien.

Alle Finanzexperten in Bonn bezweifeln, daß die Haushaltssperre wirklich viel Geld spart. Selbst der Ministeriumssprecher räumt ein, daß durch die letzte Sperre im Herbst 1995 lediglich ein bis zwei Milliarden Mark nicht getätigter Ausgaben registriert wurden. Wieviel es diesmal werden, weiß er nicht. Die SPD schätzt, daß 5 bis 8 Milliarden zusammenkommen. Gesetzlich festgelegte Ausgaben müssen ebenso erfüllt werden wie Verträge. „Vordringliche Investitionen werden auch nicht zurückgestellt“, versichert der Sprecher von Theo Waigel. Zur Beruhigung der Blechfetischisten versichert er: „Der Autobahnbau ist nicht betroffen.“

Die Kritiker der Haushaltssperre sitzen auch in den Wirtschaftsforschungsinstituten. Waigel habe mit der Sperre „nicht den richtigen Weg gewählt“, sagt Josef Körner, Finanzexperte beim Münchner Ifo-Institut. 2 bis 4 Milliarden ließen sich sparen, eine „grundsätzliche Sanierung ist damit nicht zu erreichen“. Die Steuerausfälle sind hausgemacht: Die Unternehmen haben im letzten Jahr allein 12 Milliarden Mark weniger Körperschaftsteuer entrichtet. Das hinderte die Industrie nicht daran, Tausende von Arbeitnehmern zu entlassen. Pro 100.000 Arbeitslose muß die Bundesanstalt für Arbeit rund 3,5 Milliarden Mark zahlen. Da diese keine direkten Steuern zahlen, schlagen sie weitere Lecks in Waigels Haushalt.

Die jetzt verkündete Ausgabensperre wird aber in jedem Fall nicht ausreichen, um den Haushalt zu bereinigen. Waigel hat aber am Donnerstag mit keinem Wort gesagt, wieviel Geld denn nun tatsächlich fehlt. Spekulationen schießen ins Kraut: 24 Milliarden Mark glaubt Oswald Metzger von den Grünen, 14 Milliarden vermuten Koalitionsmitglieder.

Schuld ist vor allem der Konjunktureinbruch, der dafür sorgt, daß weniger Geld in die Kasse kommt. So verzeichneten die Finanzämter im letzten Quartal eine um ein Viertel niedrigere Einkommensteuer als im Vorjahreszeitraum. Zugleich steigen die Kosten für Sozialausgaben, weil die Arbeitslosenzahlen so hoch sind wie noch nie in der Nachkriegsgeschichte. Das Arbeitsministerium hat angekündigt, daß es 7,5 Milliarden Mark zusätzlich zu den veranschlagten Geldern benötigt.

„Ein weiterer Grund für die geringeren Einnahmen ist die hohe Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen für Investitionen in Ostdeutschland“, schreibt die Deutsche Bundesbank. Profitiert davon haben vor allem Westdeutsche, die ihr Geld in Projekte in den neuen Ländern gesteckt haben und dadurch zu Hause ihren Steuersatz massiv senken konnten. Offenbar hatte Waigel nicht damit gerechnet, daß hierdurch hohe Steuerausfälle verursacht würden.

Noch im Mai 1995 hatte die Steuerschätzung ergeben, daß in diesem Jahr 393,3 Milliarden Mark zur Verfügung stehen würden. Im Oktober sah es dann wesentlich düsterer aus: Nur noch 351 Milliarden Mark wurden prognostiziert. Der Gesamthaushalt des Bundes ist auf 451,3 Milliarden Mark ausgelegt – was nicht aus Steuern kommt, soll durch 28 Milliarden Mark Verwaltungseinnahmen, 60 Milliarden Schuldenaufnahme und die Privatisierung von Lufthansa, Wohnungsbau und anderen Betrieben kommen. Daß das reichen wird, ist zu bezweifeln.

Waigel verweigert aber nicht nur die Aussage über die tatsächliche Höhe des Defizits. Ebenso unklar ist, wie er das strukturelle Defizit zu schließen gedenkt. Mehrere Möglichkeiten gibt es: Zum einen wird in den nächsten Wochen erneut die Debatte über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer anstehen – eine Finanzquelle, die Geringverdiener besonders belastet. „Die Versuchung ist zu groß und die Zwänge sind zu enorm, daß man jetzt gleich zu einer derat einfachen Lösung greift“, sagt Volker Krönung, SPD-Mitglied im Finanzausschuß. So bleibt dem Finanzminister nur seine vornehmste Aufgabe: rechnen, rechnen, rechnen. Ein Nachtragshaushalt muß her, fordert die Opposition. Und das möglichst schnell, da bereits vor der Sommerpause über den Haushalt 1997 beraten wird. Wie der ohne vernünftigen Haushalt 1996 verabschiedet werden soll, bleibt fraglich.

Eine andere Möglichkeit zur Haushaltskonsolidierung ist die Erhöhung der Neuverschuldung. Das aber würde dazu führen, daß die Maastricht-Kriterien im kommenden Jahr kaum zu erfüllen wären und Deutschland wohl nicht an der Währungsuniuon teilnehmen könnte. Im jetzigen Haushalt stehen 60 Milliarden Mark Neuverschuldung. Schon heute gehen 86 Milliarden Mark Steuereinnahmen dafür drauf, Altschulden und Zinsen abzustottern.

Bleibt als letzte Möglichkeit der Abbau öffentlicher Leistungen. Dafür plädiert Hans-Jürgen Seils vom Bundesverband der deutschen Industrie: „Statt einer Haushaltssperre würde ich es lieber sehen, wenn es zu einem Strukturgesetz käme, mit dem tatsächlich auch Eingriffe in öffentliche Leistungen erfolgen können.“ Ulrike Fokken/Annette Jensen