Torsionsmantelgeschützt auf die Hundert zu    ■ Von Stefan Gärtner

Die Menschen werden ja trotz allem immer älter. Während man zu Luthers Zeiten mit zirka 40 schon zahnlos vor sich hin sabberte und auf der Ofenbank still aufs Paradies wartete, pfeifen unsere 70-Jährigen auf Freund Hein, sitzen drittzahnig und sehr agil im ausgewählten Sportfachhandel herum und verlangen ausgewählte Markensportschuhe, um dem Ende energisch davonzulaufen. „Gibt's die 98er Asics Olympic Gel Trainer noch? Nicht? Beim Lüdenscheid-Marathon hab ich damit letztes Jahr den zwoten Platz gemacht, die Dinger sind klasse auf losem Untergrund, auf Beton sind ja die adidas Running Revolution II besser, wegen der hydropneumatischen Torsionsfederung und der vollgummiummantelten Titan-Fersenstütze, warum gibt's die eigentlich nur in Schwarz und nicht in Blau? Blau ist doch eine schöne Farbe!“ Spätestens hier musste ich dem solide bebrillten Greis Recht geben, Blau ist wirklich eine schöne Farbe, und Titansohle hin, Torsionsmantel her, der adidas Running Revolution II in Blau, das wäre doch mal was.

Es ist ja generell schwer, zuverlässiges Personal zu finden, und für den ausgewählten Sportschuhfachhandel gilt das erst recht. Der Sportschuhfachverkäufer nämlich hatte keine Ahnung und würgte irgendwas von „Modellwechsel“ und „Lieferschwierigkeiten“, eine wirklich völlig unzureichende Antwort, denn der informierte Seniorensportler war sich „hundertprozentig sicher“, dieses Modell „neulich erst“ gesehen zu haben, „und zwar in Blau!“, nur dass er da „gerade kein Geld“ dabeigehabt habe, und jetzt habe er Geld, aber „Sie haben den Schuh nicht!“. Die größten Tragödien vollziehen sich halt immer noch im Sportschuhfachhandel. Es war schon recht zum Weinen.

„Egal“, brach der rüstige Zweitplatzierte dem Konflikt versöhnlich die Spitze ab, „der Reebok Air Tech Marathon ist im Sommer eh besser, weil, der hat eine warmluftabsorbierende Pronationsstütze, mein Gott, den werden Sie doch aber haben!“ Und während sich der Sportschuhfachverkäufer erst mal aus der Verantwortung beziehungsweise in Richtung Schuhlager stahl, war nun des Läufers stabile Gattin an der Reihe, die skandalösen Zustände im schuhverkaufenden Gewerbe zu beklagen, welche sich in ihrem Fall dergestallt manifestierten, dass sie in die ihr vorgelegten Schuhe entweder nicht hineinkam oder, so es doch mal gelang, ihrerseits mit der Farbgebung nicht einverstanden war; ein Dilemma, welches sie unentwegt und sehr zu Recht bequengelte. Nur der souveränen, ja olympischen Ruhe ihres drahtigen Gatten war es zu veranken, dass es nicht zum verdienten Eklat kam: Anstatt jetzt endlich mal den Geschäftsführer sprechen zu wollen, wie es einem weniger besonnenen Kunden mit allem Fug hätte einfallen können, ließ er sich geduldig noch zwei Dutzend andere Modelle zeigen, und irgendwann kaufte er dann, um die überforderte Fachkraft nicht weiter zu beschämen, irgendwas in Blau und mit Titan und Tech beziehungsweise Fersenstützmantel und ging, die greinende Gattin im Schlepptau.

Neulich stand in der Zeitung, Wissenschaftler hielten es für möglich, den Menschen bald 140 Jahre alt werden zu lassen, und ich meine, der dahindämmernden Sportartikelindustrie sollte man dies nur wünschen.