Neun Mainzer trotzen dem DFB

Berlins preußische Hertha kam mit den wilhelminischen Dressurregeln besser zurecht, unterliegt aber im Pokalwettbewerb beim Zweitligisten 1:2    ■ Aus Mainz Oliver T. Domzalski

Es gibt bekanntlich sone Pokalspiele und solche. Mainz 05 gegen Hertha BSC schien lange ein Achtelfinale von der öden Sorte zu werden. Man kennt das: Irgendwann macht der Erstligist (diesmal Preetz: 67. Minute) sein Tor, und der tapfere kleine Heimklub scheidet unglücklich aus. Hertha hatte von Anfang an auf das Prinzip Ödnis gesetzt. Nur anfangs war der Mittelfeldwirbler Kai Michalke ein guter Ersatz für Darius Wosz. Deislers unauffälliges Comeback endete mit der ersten Halbzeit; Preetz trat würdig in Klinsmanns Fußstapfen – unendlich viel laufen und rackern und dabei wirken wie der Galopper des Jahres; Andreas Thom schlich mit zunehmender Spieldauer wie Erich Mielke über den Rasen.

Und Mainz? Äußerst diszipliniert und kühl, mit der von Trainer Wolfgang Frank zuvor angekündigten „kompakten Mannschaftsleistung“, spielten sie ihr eigenes ödes System: Ball und Gegner kontrollieren und auf Fehler des Gegners warten. Man sah: Hier spielten Rechtemakler unter sich – ISPR Mainz gegen UFA Berlin. Entsprechend ruhig war das sonst zu erstaunlichen Kreativleistungen fähige Mainzer Publikum 83 Minuten lang: Man quittierte Herthas Führung mit stoischem Gleichmut und schickte sich in die absehbare Niederlage.

Erst mit dem etwas überraschenden Ausgleich kam ein wenig Stimmung auf. Und gleich lief sich der eigentliche Gegner beider Mannschaften, der durch den Schiedsrichter Dr. Helmut Fleischer vertretene DFB, langsam warm. Schiedsrichter sind ja längst nicht mehr dazu da, Fußballspiele glatt über die Bühne zu bringen und Spieler vor Verletzungen durch brutale Fouls zu schützen. Seit der Schließung von Margot Honeckers preußischen Diktaturschulen vor zehn Jahren haben die DFB-Schiris die ehrenvolle Aufgabe übernommen, als einzige und letzte Instanz in Deutschland veraltete, spießige, von greisen Pennern ersonnene Benimmregeln durchzusetzen.

Erwachsene Männer, die einen Kampfsport betreiben, werden wie kleine Schülerchen behandelt und sollen Freude und Ärger nur so äußern, wie das Egidius Braun in seinem Polstersessel zu sehen wünscht. Kurz nach dem Ausgleichstor ging der Mainzer Klopp mit Gelb-Rot vom Platz – nicht etwa, weil er seinem Namen Ehre gemacht hätte, sondern wegen des Kapitalverbrechens Trikotzupfen im Mittelfeld. Auch hatte der eifrige Linienassistent nach dem Mainzer Ausgleich nicht vergessen, den Schiedsrichter an die fällige Gelbe Karte für Marko Rehmer zu erinnern. Dieser hatte sich (ohne das Feld zu verlassen) flegelhaft am Rand behandeln lassen und war dann zurückgelaufen. Da musste der kleine Marko halt mit einer Erziehungsnahme des Turnlehrers bedacht werden.

Insgesamt kamen die Herthaner aber besser klar mit den wilhelminischen Dressurregeln, vermutlich weil mit Wosz, Rehmer, Veit, Herzog und Thom fünf ihrer Spieler noch im Osten zur Schule gegangen sind. Härter traf der bizarre Regelunsinn die Mainzer: Wenn ein schon verwarnter brasilianischer Einwechselspieler namens Rodriguez Marcio den bereits dezimierten Zweitligisten in der Verlängerung (98. Minute) gegen den Champions-League-Teilnehmer in Führung schießt und sich darob verzückt das Trikot über den Kopf zieht – dann muß er weg. Da gibt es nix. Das ist nämlich „unsportliches Verhalten“ – und damit ebenso schlimm wie „unsozialistisch“ oder „undeutsch“.

Niemanden stört diese Form des Jubels – nicht einmal die Queen Mom (99) hätte die Nase rümpfen können, denn unter dem Trikot wurde noch nicht mal nackte Haut sichtbar, sondern ein allen viktorianischen Sittenregeln genügendes Unter-Shirt. Aber so was macht man nicht im Klassenzimmer. Also ab in den Karzer.

Was blieb, war eine dramatische und kuriose 22-minütige Schlußphase. Auch die wenigen Hertha-Fans unter den 14.800 Zuschauern sahen ein: Hier kämpfen neun tapfere Schüler gegen die schikanöse Pausenhof-Disziplinar-Ordnung des DFB-Lehrerkollegiums und den beflissenen Oberst-Studienrat Dr. Fleischer. Wie beim Handball standen elf Champions-Herthaner um den Mainzer Strafraum herum und versuchten vergeblich, gegen neun dort versammelte Zweitligaspieler ein Tor zu erzielen.

Mainz rettete sich verdient ins Ziel. Vielleicht hätte es Hertha mit Völkerball versuchen sollen.