Ein Denkzettel für die Kaczyński-Zwillinge

In Polen gewinnt die liberale und linke Opposition die Lokalwahlen. Die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ verliert viele Stimmen und ist nur in den ländlichen Gemeinden erfolgreich. Wahlbeteiligung liegt bei rund 45 Prozent

WARSCHAU taz ■ Das Ringen um Optimismus war am späten Sonntagabend in der Parteizentrale von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) unüberhörbar. „Trotz der Angriffe und Provokationen versteht uns ein großer Teil der Gesellschaft“, nuschelte Premier Jarosław Kaczyński nach der Bekanntgabe der ersten Wahlresultate in die Mikrofone.

Die ersten Resultate der polnischen Lokalwahlen zeichneten ein altbekanntes Bild. Die Kaczyński-Partei PiS wird vor allem von den Wendeverlierern auf dem Land unterstützt, die wirtschaftlichen Zentren, ja selbst viele Provinzstädtchen setzen auf die liberale Opposition.

Rund 30 Millionen Polen waren am Sonntag aufgefordert, fast 50.000 Lokalabgeordnete und Bürgermeister zu wählen. Nach Auszählung von bis zu 92 Prozent der Stimmzettel zeichnete sich spätestens am Montagmittag ab, was die Kaczyński-Zwillinge nicht wahrhaben wollen. Die PiS hat nach einem Jahr Regierungszeit bei den Lokalwahlen deutlich weniger Stimmen erobert als bei den Parlamentswahlen von vergangenem September. Auch ein von der rechtspopulistischen Koalition kurz vor dem Wahltag durchgeboxtes neues Wahlgesetz, das Parteienblöcke begünstigt, nützte den Kaczyńskis nichts. Die extremistischen Juniorregierungspartner Liga polnischer Familien (LPR) und Samoobrona scheiterten in den meisten Städten an der Fünfprozenthürde.

Einzig in den Gemeinderäten konnte die PiS die oppositionelle liberale Bürgerplattform (PO) mit 16 zu 13 Prozent schlagen. Allerdings eroberten hier unabhängige Kandidaten und lokale Wahllisten die meisten Stimmen. Bereits in den Gebietsparlamenten (Wojwodschaftsebene) aber überrundete die PO (28,4 Prozent) die PiS (25,6 Prozent). Die deutlichste Niederlage mussten die Kaczyńskis in den großen Städten hinnehmen. Die PO eroberte 43,4 Prozent der Stimmen, die PiS kam auf 30,3 Prozent. Ein unerwarteter Erfolg gelang mit 17,5 Prozent der Liste der Vereinigten Linken und Demokraten (ehemals: Freiheitsunion) (LiD). Die Juniorpartner LPR (2,4 Prozent) und Samoobrona (0,7 Prozent) wurden von den Wählern zur Bedeutungslosigkeit verdammt.

Nur beim Kampf um das Amt des Warschauer Stadtpräsidenten behielt die PiS in der ersten Runde die Nase vorn. Expremier Kazimierz Marcinkiewicz lag nach Auszählung von 61 Prozent der Stimmzettel mit 38,4 Prozent gegenüber seiner liberalen Herausfordererin Hanna Gronkiewicz-Waltz (34,2 Prozent) vorn. Der linke Kandidat Marek Borowski (20,5 Prozent) hat seine Wähler aufgefordert, in der zweiten Runde in zwei Wochen für Gronkiewicz-Waltz zu stimmen.

Als „erschütternd niedrig“ bezeichnete der Soziologe Ireneusz Krzeminski die Wahlbeteiligung. Diese lag bei rund 45 Prozent. Während sich die PiS gestern die Wunden leckte, spekulierte die polnische Öffentlichkeit über die Folgen des liberalen Lokalwahlsiegs auf Landesebene. Erneut machte die Hoffnung auf eine große Koalition zwischen Liberalen und Konservativen die Runde. Die rechtsextreme, regierungsnahe Zeitung Nasz Dziennik erteilte diesen Szenario eine Abfuhr. Die Koalition zwischen PiS, LPR und Samoobrona halte bestimmt drei weitere Jahre, denn nun müssten die Juniorparteien begreifen, dass sie Neuwahlen nur verlieren würden.

PAUL FLÜCKIGER

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