Agenda 2010
: Leitplanke fürs Ruhrgebiet

Komm, gieß‘ mein Glas

noch einmal ein mit

jenem bill‘gen roten Wein,

in dem ist jene Zeit

noch wach, heut‘ trink ich

meinen Freunden nach (R. Mey)

Ein Auto ist ein Auto, ist ein Auto. Danke an Gertrude Stein für den Einstieg. Doch vorletzte Woche wurde mir der TÜV-Stempel verwehrt. Heilige Kuh und das wird teuer. Auf der Suche nach einer preiswerten Alternative im worldwideweb zwingt mich ein unsichtbarer Mechanismus ungewollt in die Vergangenheit. Wie in Trance reiht sich „der“ Golf an den persischen Golf, dann persico an Persiko. Persiko?

Aus dem Nebel der späten 1970er Jahre tauchen rotgefärbte Pinnchen auf, geräucherte Eckkneipen und abgewetzte Skatkarten. Und eine Begegnung mit dem Ruhrschnellweg, der heute A40 heißt und auf dem schon einmal die Berliner Love-Parade stattfinden sollte. Und hoffentlich tatsächlich bald wird. Doch was hat Dauerhüpfen mit Kirschlikör zutun? Ganz einfach. Als langhaariger Student machte ich auf der Schnellstraße meine persönliche Love-Parade. Pils und Persiko im Dauerfeuer hatten saure Spuren in meinem Magen hinterlassen, die wollte ich dort loswerden. Ich stieg also aus dem Auto des nüchternen Freundes, kotzte die mandelzarten Reste über die Leitplanke und wollte zurück. Doch „der“ grüne Käfer war futsch. Ich hüpfte los, den Verräter verfluchend, bis mich helfende Hände packten und um 180 Grad drehten. Falsche Richtung, logo. Nie wieder kultigen Kirschlikör. Bis heute.

Aber natürlich immer wieder die A40, den schönsten Parkplatz im Revier. Mein Plädoyer für den neuen Austragungsort der Liebesparade. Die könnte von 2007 bis 2010 eine echte Leitplanke der Europäischen Kulturhauptstadt werden. Jugendliche Augen der ganzen Welt würden auf die Region gerichtet, dazu hunderte Fernsehkameras. Zugegeben, die Idee ist nicht neu. Schon einmal hat sich der Regionalverband Ruhr darum beworben. Mit markigen Sprüche wie: Egal, wie viel Müll die hinterlassen, wir räumen das weg. Verkehrstechnisch ist das auch kein Problem. Da gibt es ja noch den Emscher-Schnellweg. Der heißt heute A42 und führt nördlich parallel ums Revier herum. Also kann die neue Kreativwirtschaft loshüpfen. Endlose braune Schilder zu den Industrie-Artefakten haben wir in der Region genug, jetzt müssen endlich auch bunte Vögel her.

Ach ja, mein fahrbarer Untersatz mit Fehlern in allen Teilen ist tatsächlich wieder fahrbereit. Mit einer Plakette passend zur Autofarbe. Dafür bin ich pleite. Also vielleicht doch noch einmal mit Kirschlikör gegen den Kummer? Meine Gedanken wandern in die 1970er, zur A40 und der vollgekotzten Leitplanke. Nein. Kein Retro in die Jugend. Vorbei ist vorbei ist vorbei.

VON PETER ORTMANN