ein notruf: der kater kotzt! von ILKE S. PRICK
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„Mir reicht’s – dazu kriegen mich keine zehn Pferde!“, keift Gisela. „Aber es ging auch nicht um Pferde“, säuselt Beate überrascht. „Kühe waren es! Schwarzweiß gefleckt. Ganz niedlich, wirklich.“ Sie kraust die Nase. „Und ich glaube, es waren um die zwanzig.“ Um die zwanzig, so so. Ich blicke zu Gisela, die zur nächsten Tirade ansetzt, und denke an Affen. An Affen und an Theater. Aber ich bin an dieser Stelle noch nicht gefragt.

Der Notruf kam zum Frühstück. „Paul kotzt schon wieder“, jaulte Beate ins Telefon. Das Würgen des Katers im Hintergrund war unüberhörbar. „Die Tier-Homöopathin meinte, dass erst einige Fragen geklärt sein müssen, bevor sie ihn weiter behandeln kann.“ – „Mhm“, nuschelte ich, weil ich mir zu einer gelingenden Konversation erst mal ein Stück Schinken aus den Zähnen pulen musste. „Sie meinte, eine speziell auf ihn abgestimmte Bachblüten-Kombination könnte helfen, aber dazu müsste sie noch einiges aus Pauls Vergangenheit wissen.“ – „Mhm“, machte ich wieder, dachte an Kinderkrankheiten wie Staupe und BSE und überlegte, ob es pietätlos sei, einfach weiterzuessen, während Paul vor sich hin würgte. „Aber ich kann das nicht allein rausbekommen“, jammerte Beate. Wieder ein Würgen. „Igitt – grün wie Galle und mitten übers Sofa.“ Ich legte die Schrippe zur Seite. Mir war klar, dass meine Hilfe gebraucht wurde.

Gisela japst immer noch wütend. „Muhhh“, säusel ich aufmunternd und muss in Deckung gehen, damit mich ihr Feuerzeugwurf nicht trifft. Paul liegt derweil neben ihr und gibt zur Abwechslung mal kein Würgen, sondern ein leises Schnurren von sich. Ich kann mir nicht helfen: seit wir uns hier für ihn abmühen, sieht er schon gar nicht mehr so krank aus.

„Was sollen wir herausbekommen?“, schrie Gisela gleich am Anfang des Abends, als Beate uns die Liste der Tier-Homöopathin vorlegte. „Die spinnt doch!“ Sie griff nach ihrer Jacke, doch da maunzte Paul so herzzerreißend, dass sie sich wieder setzte. Also gingen wir die Fragen durch: War das Tier das Ergebnis eines gewollten Deckaktes? War es ein Einzelkind? Wenn nicht: Wie war das Verhältnis zu seinen Geschwistern? „Gewollter Deckakt?“, quäkte Gisela schon wieder. „Von wem gewollt? Vom Vater Kater, von der Katze oder vom Bauern? Das ist doch pure Verarschung!“ Paul röchelte vorwurfsvoll. „Für die Bachblüten ist aber eine genaue Anamnese unumgänglich“, seufzte Beate. „Ich dachte an eine Familienaufstellung nach Hellinger.“ Giselas nächster Aufschrei konnte sie nicht stoppen: „Wir spielen Paul einfach seinen Geburtsbauernhof vor. Dann erinnert er sich an seine frühe Kindheit und kommt auf diejenige von uns zu, deren Stellvertreterposition eine Bedeutung für seine Entwicklung hatte. Dann wissen wir vielleicht so viel, dass die Homöopathin das Passende findet.“

Und darum gibt Beate jetzt auch die gesamte Katzenfamilie, Gisela die Kühe und ich – nun ja. Die Schweineohren aus rosa Servietten stehen mir eher nicht. Ich brauche nur Giselas Feixen zu sehen. Ich werde mich trotzdem für Paul zu Boden werfen und mich grunzend durch die Krümel im Flokati wühlen, als wär’s Muttererde. Insgeheim aber frage ich mich: kann es sein, dass auch der Kater grinst?