Wie in seinen besten Zeiten

ABGANG Der dienstälteste Regierungschef der Bundesrepublik bleibt auch bei seiner Rücktrittserklärung souveräner Herr der Lage

„Eine meiner größten Niederlagen ist die nicht zeitgerechte Eröffnung des BER“

KLAUS WOWEREIT (SPD)

AUS BERLIN STEFAN ALBERTI

„Klaus Wowereit hat in Berlin abgewirtschaftet“, textet ein Fernsehmann schon in eine Kamera, da ist der Regierende Bürgermeister noch gar nicht im Raum. Der Mann, der schließlich in den Pressesaal des Roten Rathauses kommt, um seinen Rücktritt anzukündigen, sieht alles andere als abgewrackt aus. Jovial und witzelnd wie in besten Zeiten berichtet Wowereit erst ausführlichst über jüngste Schritte einer Olympiabewerbung, bevor er dann doch seinen Rückzug zum 11. Dezember ankündigt. Neuwahlen, wie von den Grünen gefordert, gibt es offenbar nicht – die mitregierende CDU bleibt am Dienstag bei ihrer Haltung, man habe eine Koalition mit der SPD und nicht mit Wowereit.

Es ist ein viel diskutierter und doch überraschender Schritt. Wowereit, seit seinem Coming-Out im Jahr 2001 bei einem SPD-Parteitag mit den Worten „Ich bin schwul. Und das ist auch gut so“ bundesweit bekannt und kurz darauf zum Regierungschef geworden, wackelt zwar wegen des pannenbelasteten Flughafenprojekts seit bald zwei Jahren.

Doch damals, Anfang 2013, stellte sich seine Fraktion hinter ihren Regierungschef, der als Aufsichtsratsvorsitzender die scheinbar immerwährende Baustelle im fernen Schönefeld zu verantworten hat. Seither aber diskutieren Partei und Medien über Wowereits Nachfolge. Vom Hof jagen konnte ihn die SPD nicht, da hätten ihn schon die eigenen Abgeordneten durchfallen lassen müssen. Und freiwillig gehen? Wowereit äußerte stets, er sei bis 2016 gewählt.

Ende nächsten Jahres wollte er sagen, wie er sich seine weitere Zukunft vorstellt, hatte Wowereit mehrfach erklärt. Ziemlich deutlich ließ er da durchblicken, dass er sich immer noch für besser hielt als alle möglichen Nachfolger. Und da sich bei diversen Anlässen zeigte, dass er damit nicht ganz unrecht hatte, blieb es bei bloßen Diskussionen.

Nun kündigt Wowereit doch seinen Rücktritt an, und so ist es weniger der Rücktritt selbst, sondern der Zeitpunkt, der überrascht. Zwar sagt einer, der ihn gut kennt, Wowereit habe zuletzt an Motivation verloren. Doch nach innerparteilichen Zwisten im April und Mai schien die Lage bereinigt. Ja, mit einer möglichen Austragung Olympischer Spiele in der Stadt schien ein neues Thema gefunden zu sein.

Aber immer wieder wurden neue Pannen am Flughafen bekannt, technische wie personelle bis hin zum Korruptionsverdacht bei einem leitenden Mitarbeiter. Wowereit hatte den Mann zwar weder eingestellt noch Milliardenmehrkosten direkt zu verantworten. „Doch den Flughafen wird er nicht mehr los“, sagte im Frühjahr ein langjähriger Weggefährte. „Eine meiner größten Niederlagen“ nennt er selbst die Verschiebung der Eröffnung.

Wowereit, über viele Jahre der beliebteste Politiker Berlins, der die Wahl 2011 fast im Alleingang für die SPD gewann, rutschte in Umfragen immer weiter ab, Anfang August sogar auf den letzten Platz. Vorbei die Zeiten, in denen Wowereit den Wandel Berlins zur Metropole und zum Tourismusmagneten verkörperte. „Einen der drei ikonenhaftesten Bürgermeister weltweit“ nannte ihn 2011 Obamas Exstabschef Rahm Emanuel, selbst Bürgermeister von Chicago. Er war der „Partybürgermeister“ mit dem Sekt im Schuh, der um einen guten Spruch nie verlegene Alleinunterhalter, der Berlins Image mit „arm, aber sexy“ mehr beförderte als sämtliche Werbekampagnen des Senats. Und heute? Der Tourismus in der Stadt boomt. Doch die Berliner haben ihren Regierenden gründlich satt. Zuletzt wollten seine SPD nur noch 21 Prozent der Berliner wählen.

Diskussionen über seine Nachfolge zwei Jahre vor der nächsten Wahl brächten „wenig Nutzen, aber viel Schaden für eine effektive Regierungsarbeit“, resümiert Wowereit am Dienstag vor den dicht gedrängt sitzenden Journalisten im Roten Rathaus, wo er im Juni 2001 Regierungschef wurde. Er legt Wert darauf, dass er freiwillig geht und nicht gedrängt: „Druck erzeugt Gegendruck und ist bei mir ein ganz schlechtes Mittel.“ Es ist nicht die Stunde der großen Abrechnung, aber er lässt nicht unerwähnt, dass die Diskussion um seine Nachfolge auch aus seiner Partei „mit befördert worden ist“.

Empfehlungen mag er nicht geben, aber es fällt auf, dass er sich bei Fraktionschef Raed Saleh für Loyalität bedankt, den SPD-Landesvorsitzenden Jan Stöß aber unerwähnt lässt. Saleh kündigt wenig später vor Journalisten Nachfolgeambitionen an.

Der 11. Dezember, an dem das Berliner Parlament seinen Nachfolger wählen soll, liegt zwischen zwei wichtigen Daten für die Berliner Politik: Nach dem 6., an dem Wowereit nochmals feiern kann, falls die deutschen Sportfunktionäre entscheiden, mit Berlin in die von ihm mit angestoßene Olympiabewerbung zu gehen. Und vor dem 12., an dem es im Flughafen-Aufsichtsrat einen Eröffnungstermin zu hören geben soll. Der könnte in peinlich weiter Zukunft liegen. Doch dafür ist dann schon der Nachfolger zuständig.