DIE GRÜNEN TRAUEN SICH NICHT, IHRE INTERNEN KONFLIKTE AUSZUTRAGEN
: Auf der Suche nach der Opposition

Die Grünen diskutieren wieder. Über die „grüne Marktwirtschaft“, über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das ist ganz ungewohnt. Denn in den sieben Jahren der Regierungsbeteiligung hatten die Grünen weitgehend verlernt, wie man konstruktiv debattiert. Jede noch so kleine parteiinterne Dissenz erschien gefährlich, weil die Mehrheit im Bundestag äußerst knapp war. Bizarrer Effekt: Der Sachzwang wurde zur Utopie erklärt. Daher firmierte Hartz IV zum Beispiel euphemistisch als „Einstieg in die Grundsicherung“. Im grünen Programm fand sich nur noch wieder, was die Regierung gerade beschlossen hatte.

Zurück in der Opposition benötigten die Grünen eine Weile, um zu bemerken, dass sie nicht mehr am Kabinettstisch sitzen. Sie verhielten sich so pragmatisch wie zu Regierungszeiten und hatten oft Mühe, sich inhaltlich von der großen Koalition abzugrenzen. Das mag auch an der personellen Kontinuität liegen, denn der Generationenwechsel ist bei den Grünen bisher ausgeblieben. Joschka Fischer hat sich zwar in die USA verabschiedet, doch die beiden anderen Exminister sitzen wieder im Parlament.

Aber eine Opposition ohne erkennbares Programm ist wie ein Auto ohne Räder. Es fehlt irgendwie der Daseinszweck. Diese Einsicht hat inzwischen auch die Grünen erreicht. Debatten sind wieder erlaubt, ja dringend erwünscht. Allerdings sollten sie nicht zu gefährlich werden. Bei der Parteispitze lassen sich inzwischen zwei Strategien erkennen, um die erwünschten Debatten gleich wieder einzuhegen.

Der erste Trick war auf dem letzten Parteitag im Dezember zu besichtigen: Man gründet erst einmal Kommissionen, ob zur Grundsicherung oder zur Außenpolitik. Also Vertagung statt Konfrontation. Der zweite Trick zeigt sich nun bei der Debatte um die neue Wirtschaftspolitik. Tatsächlich ist der Dissenz in der grünen Fraktion enorm. Es ist nicht nur eine Frage der Semantik, ob man eher dem Markt oder stärker den staatlichen Regulierungen vertraut. Doch dieser Streit wird möglichst weit heruntergespielt – und zwar gerade seitens der grünen Linken.

Monatelang reagierten sie nicht auf das Papier von Fraktionschef Fritz Kuhn, der die „unsichtbare Hand des Marktes“ beschwor. Jetzt haben Jürgen Trittin und Bärbel Höhn zwar ein Gegenpapier verfasst, doch verzichten sie darauf, das Kuhn-Papier explizit zu erwähnen. Stattdessen betonen beide Seiten, so groß seien die Differenzen gar nicht. Es wird spannend, wann die Grünen sich trauen, wirklich Opposition zu sein. ULRIKE HERRMANN