Die Akteure der Revolte

ARABISCHES KINO Ahmed Abdallas preisgekrönter Film „Microphone“ ist heute in den Hackeschen Höfen zu sehen

VON NINA SCHOLZ

Khaled (Khaled Abol Naga) hat schlechte Laune. Nach einem mehrjährigen Studienaufenthalt in Amerika ist er in seine Heimatstadt Alexandria zurückgekehrt, doch nichts ist mehr, wie es einst war: Seine Exfreundin will das Land verlassen, von seinen alten Freunden hat er sich entfremdet, und sein Job als Ingenieur langweilt ihn.

Bei seinen Spaziergängen durch Alexandria lernt er die jungen Filmstudenten Selma (Yousra El Lozy) und Magdy (Ahmed Magdy) kennen. Khaled erfährt, dass ihre Freunde an einem staatlich organisierten Konzert teilnehmen wollen, die Auflagen aber so streng sind, dass sie ihre eigene Musik nicht spielen dürfen. Daher schlägt er vor, gemeinsam ein eigenes Konzert auf die Beine zu stellen. Trotz des Altersunterschieds entstehen zwischen Khaled und den HipHoppern, Street Artists und Skateboardern Freundschaften. Die Probleme der Jugendlichen in Ahmad Abdallas zweitem Spielfilm, „Microphone“, der Preise auf den Filmfestivals in Istanbul, Dubai, Tunesien und Kairo gewann, sind denen anderer junger Menschen auf der Welt nicht unähnlich, doch vor allem der Generationenkonflikt verschärft sie: Sprachlosigkeit und Wut bestimmen die Beziehungen mit ihren Eltern. Durch staatliche Restriktionen und die Willkür der Polizei werden ihnen bei vielen Unternehmungen Steine in den Weg gelegt.

Abdallas Film wirkt im Rückblick prophetisch: Es scheint, als hätte der 2010 veröffentlichte Low-Budget-Film die Stimmung vor der „arabischen Revolution“ in Ägypten eingefangen, als hätte er jene Jugendlichen porträtiert, die zu Beginn des Jahres auf den Straßen mitprotestierten, als würde er die hierzulande oft skeptisch formulierte Frage nach den Akteuren der Revolte beantworten.

Sicherlich war das auch ein Grund, warum der 32-jährige Filmemacher jetzt vom Verein „Afrika Venir“ nach Berlin eingeladen wurde. Heute Abend präsentiert er „Microphone“ in einer einmaligen Aufführung und wird sich den Fragen des Publikums stellen. Unter der Überschrift „Soziale Bewegungen in Afrika“ soll sein Film die Beweggründe einer Jugend illustrieren, die, obwohl mit allerlei materiellen Freiheiten ausgestattet, permanent gegen eine Wand aus Verboten rannte.

Zensur und Frust

Vielen gilt Abdallah als Experte für diese Jugend, denn sein Film erklärt, wie aus der ungesunden Mischung aus Zensur und Frust Aufbruch entsteht. Die Frage, wie viel Realitätsbezug ein Spielfilm haben darf, diskutiert Abdalla indirekt im Film selbst: Immer wieder sprechen Selma und Magdy mit ihrem Dozenten darüber, wie konkret ein Film in seinen Aussagen werden sollte.

Abdalla selbst hat sich für eine Kompromisslösung entschieden: „Microphone“ ist im Dokumentarfilmstil gedreht und reißt viele Themen nur an, vermischt Fiktionales mit Nichtfiktionalem: Außer ein paar professionellen Schauspielern wie Khaled Abol Naga, einem ägyptischer Kinostar, stellen die Musiker und Jugendliche sich selbst dar. Bereits seinen ersten Film, „Heliopolis“, hatte er in diesem Stil gedreht. Darin erzählt er die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die sich die Zeit in den Vorstädten von Kairo vertreibt.

Eigentlich sollte „Heliopolis“ 2009 auf dem Filmfest in Toronto Premiere feiern. Er wurde aber von Abdallas Produzenten Sherif Mandour zurückgezogen, weil dieser sich an der Boykottaktion beteiligte, zu der verschiedene Filmemacher, aber auch die Journalistin Naomi Klein aufgerufen hatten.

Die Aktion richtete sich gegen die Kooperation des TIFF (Toronto International Film Festival) mit der Stadt Tel Aviv und ihren Filmschaffenden. Abdalla selbst formulierte damals eine gemäßigtere, aber nicht weniger heikle Position: Auch er kritisierte die Partnerschaft mit Israel, hätte seinen Film aber gern gezeigt, um das moderne arabische Kino populärer zu machen.

Genau das scheint gerade zu geschehen: Ägypten ist in diesem Jahr Gastland der Filmfestspiele in Cannes, und Abdalla wurde mit neun weiteren Filmemachern gebeten, einen Omnibusfilm über die ersten Tage der „arabischen Revolution“ zu drehen.

Eine glückliche Wahl: Denn Filmemacher wie Ahmad Abdalla, der es in „Microphone“ schafft, universell und trotzdem konkret zu erzählen, nähren die Hoffnung auf ein modernes und spannendes Kino aus den arabischen Ländern; eines jenseits des Spartenprogramms, in das sie hierzulande oft verbannt werden. Im Kino in den Hackeschen Höfen kann man sich heute Abend schon einmal davon überzeugen.

■ „Microphone“. Ahmed Abdalla, Filmtheater Hackesche Höfe, 20 Uhr