Machtgefühl auf Kosten der Kleinsten

Vertrauen schamlos ausgenutzt: Das Lübecker Landgericht hat einen Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt, der sich über Jahre an kleinen Mädchen in der Obhut seiner Frau verging. Die soll davon nichts mitbekommen haben

Die familiäre Atmosphäre ist Vorteil und Nachteil zugleich. Statt in den halb öffentlichen Kindergarten geben viele Eltern ihre Kinder lieber zu einer Tagesmutter, weil die Betreuung in einer Privatwohnung mehr Geborgenheit geben kann. Dass gerade die Abgeschottetheit hinter einer Wohnungstür aber auch ein Problem sein kann, zeigt ein Fall aus Bad Oldesloe auf drastische Weise: Der Ehemann einer Tagesmutter hat über zehn Jahre lang unbemerkt kleine Mädchen sexuell missbraucht, die von seiner Frau in der eigenen Wohnung betreut wurden. Das Lübecker Landgericht verurteilte den 56-Jährigen dafür gestern zu einer Haftstrafe von fünf Jahren. Der Angeklagte nahm das Urteil an.

Seit 27 Jahren arbeitete seine Ehefrau als Tagesmutter. Niemals gab es Beschwerden. Vorigen Herbst dann meldete sich die Mutter eines vierjährigen Mädchens beim Jugendamt. Ihre Tochter wolle nicht mehr zur Tagesmutter, weil deren Mann, „der Uli“, mit ihr immer „so einen Blödsinn macht“. Das Amt entzog der Tagesmutter sofort die Pflegeerlaubnis und erstattete Strafanzeige bei der Polizei. Die nahm den Gatten fest, der seine Taten gestand. „Ich schäme mich in Grund und Boden“, sagte er später bei seinem Prozess vor dem Lübecker Landgericht.

Seine Frau will die sexuellen Übergriffe nicht bemerkt haben, obwohl sie nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft oft mit in der Wohnung war. 20 einzelne Taten an sechs Mädchen hat der 56-Jährige eingeräumt. Die Kinder waren zwischen zwei und sechs Jahre alt – die jüngsten Opfer trugen noch Windeln. Der Angeklagte gestand vor Gericht, die Mädchen an den Genitalien berührt, ihnen Pornobilder gezeigt und eine Dreijährige zum Oralsex gezwungen zu haben. „Es hat sich ergeben. Ich habe die Situation ausgenutzt. Ich kann selbst nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte.“

Der ehemalige Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe ist selbst zweifacher Vater und Großvater. In seinem Gutachten sagte der psychiatrische Sachverständige, dass der Angeklagte nicht pädophil sei. Er habe mit den Übergriffen auf die Kinder ein Machtgefühl auskosten wollen, das er in seinem Beruf und seiner Familie nicht erlebt habe. Mit seinen Taten habe er auch seine Frau treffen wollen, analysierte der Gutachter.

Die verweigerte die Aussage vor Gericht. Sie hatte einen tadellosen Ruf. Alle Eltern beteuerten, mit der Betreuung ihrer Kinder stets zufrieden gewesen zu sein und deshalb niemals den Verdacht gehegt zu haben, dass der Ehemann sich an den Mädchen vergehen könnte. Diese Beteuerungen allerdings haben vor Gericht Fragen auch danach aufgeworfen, inwieweit die Eltern das Unfassbare vielleicht nicht sehen wollten, obwohl es darauf Hinweise gab. Eine Mutter berichtete, dass „der Uli“ auch sie sexuell belästigt habe. „Er hat mehrmals versucht, mir an die Brust und zwischen die Beine zu fassen“, sagte die 32-Jährige aus. Deshalb sei sie ihm aus dem Weg gegangen. Ihre Tochter aber lieferte sie trotzdem jeden Tag in der Wohnung der Tagesmutter und deren Mann ab. Sie habe ihr keinen Wechsel der Bezugsperson zumuten wollen. „Und wer glaubt denn auch, dass einer, der bei der Mutter nicht weiterkommt, sich die kleine Tochter greift.“ Elke Spanner