Gegen das Paradies

In Nordkorea diente Kim Seong Min einst dem Militär als Propagandist. In Südkorea leitet er den wichtigsten Dissidenten-Sender „Free North Korea“

AUS SEOUL JUTTA LIETSCH

Das kleine Büro im fünften Stock eines Hochhauses im Südwesten von Seoul ist das Reich von Kim Seong Min. An der Wand hängen ein Jesus-Bild und eine nordkoreanische Uniform. Einst diente Kim als Dichter in der Propaganda-Abteilung des Militärs von Pjöngjang. 1999 floh er nach Südkorea. Als Chef der kleinen privaten Radiostation „Free North Korea“ gehört er heute zu den bekanntesten Kritikern des Regimes von Kim Jong Il.

Zusammen mit neun Mitarbeitern, darunter sieben Nordkorea-Flüchtlingen, produziert der 45-Jährige täglich Programme, die über Kurzwelle in seine abgeschottete Heimat ausgestrahlt werden: Zwei Stunden täglich Nachrichten und Berichte „aus beiden Teilen Koreas und vom Rest der Welt“, sagt Kim, ein zurückhaltender Mann im hellblauen Hemd und dunkler Hose. Angefangen hatte alles, als die Regierung in Seoul im Jahr 2002 beschloss, nicht mehr kritische Sendungen über das Staatsradio KBS nach Nordkorea auszustrahlen. Der Grund: Man wollte die „Sonnenschein-Politik“ genannte politische Annäherung an Pjöngjang nicht gefährden.

„Das konnten wir nicht akzeptieren“, sagt Kim über sich und die Gruppe von Flüchtlingen, die zwei Jahre später Free North Korea zunächst als Internet-Radio gründeten. Er selbst hatte vom Leben draußen einst über südkoreanische Sender erfahren, die er heimlich hörte. „Das war auch der Grund dafür, warum ich schließlich geflüchtet bin.“

Seit Dezember 2005 sendet „Free North Korea“ über Kurzwelle. Finanziert wird das Budget von jährlich rund 200.000 US-Dollar aus Spenden, seit 2006 erhält die Radiostation auch Zuschüsse des US-Kongresses.

Neben allgemeinen Nachrichten gehören Berichte von Flüchtlingen, Informationen über die Lebensbedingungen in Nord- und Südkorea sowie politische Debatten über die Zukunft der Halbinsel zum Programm. „Wir erklären zum Beispiel, wie die Präsidentenwahlen im Süden funktionieren“, sagt Kim, „verschweigen aber auch nicht die Diskriminierung, die wir ehemaligen Nordkoreaner hier manchmal erleben.“

Knapp 11.000 nordkoreanische Flüchtlinge leben inzwischen unter den rund 49 Millionen Bewohnern Südkoreas. Viele von ihnen haben sich, so wie Radio-Chef Kim, einer der vielen christlichen Gemeinden angeschlossen, die in Südkorea aktiv sind. Diese Kirchen geben den Entwurzelten praktischen und emotionalen Halt in der fremden südkoreanischen Gesellschaft, in der alle von der Wiedervereinigung reden, „sich aber eigentlich niemand dafür interessiert, was im Norden vorgeht“, wie Kim ein wenig bitter sagt.

Seine Sendungen, die morgens ab halb sieben und abends ab 19 Uhr jeweils eine Stunde dauern, werden in Nordkorea aufmerksam gehört. „Alle ein, zwei Monate beschweren sich die Funktionäre aus Pjöngjang über uns und fordern von der Regierung in Seoul, dass wir geschlossen werden“, sagt Kim.

Wer in Nordkorea seine Sendungen hört, riskiert strenge Strafen. Die Geschäfte verkaufen nur Radios, deren Kurzwellen-Empfang blockiert ist. Aber „wer ein bisschen von Technik versteht, kann sich selbst einen Empfänger bauen“, sagt Kim. „Das haben wir immer so gemacht.“ Inzwischen werden auch viele Geräte geschmuggelt. Die meisten kommen aus China, wo laut Kim hunderttausend nordkoreanische Flüchtlinge untergetaucht sind.

Obwohl die Behörden im Norden nach wie vor versuchen, das Land abzuschotten, sickern immer mehr Informationen hinein und heraus. Deshalb, so glaubt Kim, hat sich die nordkoreanische Gesellschaft bereits verändert. „Die Leute haben heute andere Wertvorstellungen als früher. Damals war man damit zufrieden, ein Auskommen und genug zu essen zu haben“, sagt er. „Aber jetzt denken alle ans Geld. Man kann alles kaufen, wenn man nur genug dafür zahlt – sogar Informationen.“

Seine Arbeit, sagt Kim mit Nachdruck, richte sich keineswegs gegen Nordkorea, sondern allein gegen das Regime: „Ich will meinen Landsleuten zeigen, was Freiheit ist, damit sie ihr Schicksal selbst bestimmen können. Sie sollen die Wahrheit wissen: Das Paradies von Kim Jong Il ist eine Erfindung.“