Auf die Drüse gedrückt

DOPING Erst der Blitz und jetzt Beschiss mit Moschushirsch-Extrakt: Das sportlich enttäuschende Nordkorea liefert wunderbar bizarre Erklärungen für das eigene Versagen

Die Moschushirsche tragen kein Geweih und erinnern wegen ihres kräftigen Hinterleibs und der großen Ohren an riesige Hasen. Sie liefern auch den Duft für Parfüms

FRANKFURT/M. taz | Zuerst war alles so, wie es sich für eine Abschlusspressekonferenz eines großen Fifa-Turniers gehört. Jeder zeigte sich zufrieden, und die große Dankesrunde nahm ihren Lauf. Joseph S. Blatter, der Vorsitzende des Weltfußballverbandes, bedankte sich beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), der deutschen Regierung, den Medien. DFB-Präsident Theo Zwanziger bedankte sich bei der Fifa und Blatter. Steffi Jones schloss sich ihm an und bedankte sich zudem noch beim ganzen Organisationsteam und noch bei vielen anderen. In dieser allgemeinen und fröhlichen Verbundenheit schien gar kein Platz für Disharmonisches zu sein.

Wenn da nicht diese Sache mit dem Hirschen gewesen wäre. Die beiden Chefmediziner der Fifa, Michel D’Hooghe und Jiri Dvorak, waren mit aufs Podium geladen worden, um von ihm, dem Hirschen zu berichten. Es ging um den Moschushirschen (lat.: Moschus moschiferus), wie Professor Dvorak präzisierte, der in der Region Sibirien, Nepal, der Mongolei und eben auch in Korea lebt. Mithilfe des Hirschen brachte die „medizinische Fifa-Intelligenzija“, wie Blatter seine Mitarbeiter vorstellte, die zwei wohl spektakulärsten Geschichten dieser WM zur Überraschung aller in einen kausalen Zusammenhang.

Nach der Niederlage gegen die USA wurde ja bekannt, dass einige Spielerinnen des asiatischen Teams in der Vorbereitung auf das Turnier angeblich Opfer eines Blitzschlags wurden. Wenige Tage später überführte man dann zwei Nordkoreanerinnen des Dopings. Da zuvor schon eine Kolumbianerin positiv getestet wurde, musste die Fifa den größten Dopingskandal in ihrer Historie eingestehen. Zudem, teilte man am Samstag mit, sind mittlerweile noch drei weitere Nordkoreanerinnen überführt worden.

Schuld daran soll nun dieser Moschushirsch gewesen sein. Genauer: die eingenommene Flüssigkeit, die aus einer Drüse des Tiers stammt, in denen die Laborarbeiter 14 Steroide identifiziert haben. Genau jene, die man auch im Steroidprofil der Spielerinnen vorfand. Vier davon sind auf der Liste der verbotenen Substanzen. Die Drüsenflüssigkeit bekamen die Fifa-Ärzte vom nordkoreanischen Ärzteteam selbst gestellt, die nachträglich eingestanden hatten, mit diesem Verfahren der traditionellen chinesischen Heilmedizin ausgewählte Spielerinnen, die an den Folgen des Blitzschlages litten, behandelt zu haben.

Es sei zwar nicht auszuschließen, dass die Nordkoreaner das Drüsensekret, das sie der Fifa freiwillig zur Verfügung stellten, manipuliert hätten, erklärte Jiri Dvorak, aber schon wissenschaftliche Arbeiten von 1975 und 1987 würden darauf verweisen, dass dieser Saft des Moschushirschen anabole Steroide beinhalte. Sprich: das nordkoreanische Ärzteteam hätte davon wissen können. Wenn, dann kann man nur von einem dilettantischen Täuschungsversuch der Nordkoreaner sprechen. Denn dass diese unerlaubten Inhaltsstoffe bei den gängigen Dopingproben entdeckt würden, hätte eigentlich auch den Ärzten des Teams klar sein müssen.

Die Geschichte vom Hirschen hörte sich so erfunden an wie viele andere zusammengereimten Darstellungen von Dopingsündern, die von den verschlungenen Wegen verbotener Substanzen in ihren Körper berichteten. Nur scheint die Erzählung vorläufig wissenschaftlich gedeckt zu sein. Die Nordkoreaner haben bei diesem Turnier auf ganzer Linie versagt. Ein Erfolg des Antidopingsystems der Fifa, wie das Michel D’Hooghe gewertet wissen wollte, ist die Enttarnung dieser plumpen Regelüberschreitung aber nicht. Fifa-Präsident Sepp Blatter schätzte das schon richtiger ein. Er sprach von einem „ganz groben und bösen Dopingfall“. Und er drückte dabei auf eine andere Drüse, die Tränendrüse. „Sie hören es vielleicht an meiner Stimme, es schmerzt.“ JOHANNES KOPP